Streaming-Tipp: »Dark« Staffel 3
»Dark« (Staffel 3, 2020). © Netflix
Der letzte Dialogsatz gibt den entscheidenden Hinweis. Falls die Welt untergeht und man nur einen Wunsch frei hat: Wie würde der lauten? Alle Anwesenden kommen überein: »Eine Welt ohne Winden.« Winden – mit diesem etwas anderen Schauplatz bürstet »Dark« den Zeitgeist gegen den Strich. Statt im hippen Berlin spielt die Neflix-Serie in einer deutschen Kleinstadt. Hier gibt es eine triste Bushaltestelle, einen Wald mit einer finsteren Höhle und viel deutsche Melancholie.
Ein Störfall im Reaktor und die damit drohende Apokalypse sind eines der zentralen Motive. Trotzdem geht es nicht um Umweltthemen. Die Serie spielt unter anderem in den 80ern und greift ein scheinbar unzeitgemäßes Thema auf: die episch verflochtene Geschichte vierer Familien, in denen etwas faul ist.
Jantje Friese und Martin Behnke, die unter der Regie von Baran bo Odar als Headautoren fungieren, gelingt es, die komplex verzweigte Erzählung im Schicksal jeder einzelnen Figur zu spiegeln. Oliver Masucci etwa reist als Polizist in die Vergangenheit. Der Gesetzeshüter bricht das Gesetz: Er erschlägt ein Kind – um sein eigenes zu retten. Dadurch erzeugt er erst jene Misere, der er durch seine Verschlimmbesserung der Vergangenheit zu entgehen erhoffte.
Das Motiv ist nicht neu. Vom »Philadelphia Experiment« über die »Terminator«- und die »Zurück in die Zukunft«-Reihen wurde das Paradox der Zeitreise filmisch variiert. Dark geht einen Schritt weiter. So spricht Jonas' Vater Michael Kahnwald (Sebastian Rudolph), der sich zu Beginn der ersten Staffel erhängte – und dessen suizidale Motive ergründet werden sollen –, den Dialogsatz aus: »Es wäre besser, nie geboren worden zu sein.«
Der Ausspruch paraphrasiert einen Vers aus Sophokles' Drama »König Ödipus«, der Mutter aller Zeitreise-Geschichten: Das Orakel sagt dem König voraus, dass sein Sohn ihn umbringen und seine Frau ehelichen wird. Der Versuch, das Schicksal auszutricksen, führt, man weiß es, dazu, dass die Tragödie überhaupt erst ihren Lauf nimmt. Dieses Motiv ist auch die Triebfeder von »Dark«. Eine abenteuerliche Odyssee führt Jonas (Luis Hofmann), den Sohn von Michael Kahnwald, durch ein Labyrinth aus zahlreichen Zeitebenen: Er reist zunächst zurück in die 80er Jahre, von wo aus ihn der Weg über die postapokalyptische Zukunft und die Vergangenheit zurück in die Gegenwart führt. Hier will er seinen Vater vom Suizid abhalten. Aber wird seine Intervention nicht dazu führen, dass der Vater den Selbstmord überhaupt erst verübt?
In der nun startenden dritten und finalen Staffel muss der vaterlose Jonas nun seinen Vater selbst verkörpern. Deshalb eilt sein älteres Ich aus der Zukunft zu Hilfe, um die verbotene Liebe mit Martha Nielsen (Lisa Vicari) zu vereiteln. Doch kaum hat er das Mädchen erschossen, da taucht sie wieder auf: sie stammt nun aus einer Parallelwelt. Wie das? Im Schnelldurchlauf wird erklärt, dass die Katze in Erwin Schrödingers Experiment lebendig und tot gleichzeitig sein kann. Uff.
Auf dem Weg heraus aus diesem Schlamassel steigert sich die Verwirrung bis ins Unermessliche. Auch die Protagonisten der Serie verlieren den Überblick. Zur Orientierung werden Fotos an Pinnwände geheftet und Stammbäume gezeichnet. Zurückreichend bis zu Adam und Eva. Und gemäß dem Titel sind die Bilder nun noch düsterer. Mit teils grellen Splatterszenen knüpft die Serie fast an die Zombie-Saga »The Walking Dead« an.
Am Ende haben Jonas und seine Freundin Martha die Erleuchtung: Sie selbst sind der »Fehler in der Matrix«. Es wäre besser, nie geboren worden zu sein. Dass Odar und die Autoren sich nicht völlig in dieser labyrinthischen Geschichte verloren haben, gleicht jedoch einem Wunder. Auch wenn man es nicht genau erklären kann, so versteht man in dieser grandiosen Serie intuitiv: Eine Welt ohne Winden gibt es nicht. Winden ist überall.
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