Streaming-Tipp: Neue Staffeln »Dark« und »Stranger Things«
»Dark« (Staffel 2, 2019). © Netflix
Es ist natürlich kein Zufall, dass Netflix die zweite Staffel »Dark« just am 21. Juni 2019 weltweit lancierte. Das Datum ist jedem Fan der Mystery-Serie ein Begriff: An diesem Tag beginnt mit dem Selbstmord von Jonas' Vater die Serie, bevor die Handlung zwischen 2019, 1986 und 1953 hin- und herspringt, Protagonisten durch die Zeit reisen und bisweilen dabei auch Versionen ihrer selbst begegnen. Die Geschichte über die merkwürdigen Dinge, die in der fiktiven Kleinstadt Winden im Schatten der zwei Kühltürme des Kernkraftwerks geschehen, war bei Erscheinen Ende 2017 ein Meilenstein: die erste deutsche Netflix-Produktion, von Jantje Friese (Drehbuch) und Baran bo Odar (Regie), die gleich auch international für Furore sorgte. Damals endete die Staffel, in der vier Jugendliche und zwei Erwachsene verschwanden, mit den Worten »Willkommen in der Zukunft«, die Jonas (Louis Hofmann) hörte, bevor er im atomverseuchten Winden einer dystopischen Zukunft mit dem Schlag eines Gewehrknaufs niedergestreckt wurde. Die zweite beginnt entsprechend düster. Es ist wieder der 21. Juni, diesmal allerdings im Jahr 1921. Und der Zeitenwechsel beginnt von neuem. Alles ist eins und zugleich, Anfänge und Ende, der ewige Kreislauf. Während 2020, sechs Monate nach dem Verschwinden, weiter nach den Vermissten gefahndet wird, erfährt Jonas im Jahr 2052, dass der Großteil der Stadt bei einer Apokalypse ausgelöscht wurde. Just an jenem Tag, als der Atommeiler wegen der neuen Umweltpolitik der Bundesregierung vom Netz gehen sollte. Er reist als Erwachsener zurück ins Jahr 2020, um das Unheil abzuwenden.
Das Spiel mit der »Gleich-Zeitigkeit« spiegelt sich auch in der Inszenierung. Die Folge 2.1 beginnt mit fast gleichen Einstellungen wie der Pilot, wieder wacht Jonas von einem Albtraum auf und geht hinunter in die Küche. Nur ist nun nicht mehr die vermeintliche heile Welt von 2019, es herrscht Verwüstung, der Kontrast aus »Mad Max«-Inferno und deutscher Provinz funktioniert erstaunlich gut. Was die Serie neben der genreimpliziten Suspense zu einer faszinierenden Seherfahrung macht, sind die existenzphilosophische Gedankenspiele. Nichts ist zufällig in dieser Welt, alles hängt miteinander zusammen, doch die wenigsten wissen, wohin ihre Reise geht. Die Auseinandersetzung lässt die Dialoge bisweilen etwas theatralisch erscheinen, sie entwickeln in ihrer Artifizialität aber einen ganz eigenen Sog.
Beim Start wurde die Serie oft mit einer anderen Netflix-Produktion verglichen, die ein gutes Jahr zuvor gestartet war und einen regelrechten Hype ausgelöst hatte. »Stranger Things« verband Mystery mit dem Retrocharme der 80er Jahre und Verweisen auf Filme, die Zuschauer aus der eigenen Jugend kannten wie »Die Goonies« und »Poltergeist«. Auch hier steht eine Gruppe Jugendlicher einer Kleinstadt im Mittelpunkt, in der paranormale Dinge geschehen. Der Vergleich der beiden Serien freilich war damals schon nicht ganz fair und vor allem faul, denn neben den Mystery-Elementen – ein Junge verschwindet, Paralleluniversen, gefährliche Wissenschaftler – und der Nostalgie für die Popkultur der 80er gab es nur wenig Parallelen. »Dark« hat Formaten wie »Akte X«, »Twin Peaks« oder »Lost« (und nicht zuletzt auch der »Tatort«-Tradition) mehr zu verdanken als »Stranger Things«.
Fast zeitgleich startet nun die mittlerweile dritte Staffel der US-Serie auf Netflix. Und »ST3« zieht die Retroschraube noch mal an, von bekannten 80s-Pophits als Soundtrack über modische Entgleisungen wie Schulterpolster, Karottenjeans und Vokuhila-Frisuren, und ist mit seinen komödiantischen Elementen, die eher an John Hughes Highschool-Filme erinnern, über Strecken vor allem eine wehmütige Wiederbegegnung mit der Jugendzeit in dieser Dekade.
Rätselraten um die vertrackten Zusammenhänge bleibt ein essentieller Teil des Rezeptionsvergnügens beider Serien, das über das reine Sehen hinausgeht, die aktive Interaktion mit den Fans wird von den Machern selbst gefördert. Doch »Dark« ist weit düsterer und erwachsener, nicht nur weil die jugendlichen Protagonisten ein paar Jahre älter sind. Auch durch die zeitpolitischen Bezüge wirkt die Serie deutlich furchteinflößender als der retropoppige Eskapismus von »Stranger Things«. Mit der zweiten Staffel löst sich »Dark« damit endgültig aus dem Schatten seines amerikanischen Pendants.
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