Auf in die Flegeljahre!
Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen hat seine 10. Ausgabe gefeiert: mit vielen Gästen, einem durchwachsenen Programm, erstaunlich gutem Wetter und Kindergeburtstagselementen
Das Drumherum war immer wesentlich für den Erfolg des Ludwigshafener Festivals: Auf der idyllischen Parkinsel kann man es sich zwischen den Filmen unter mächtigen Bäumen gutgehen lassen, wenn man nicht gerade einem der Publikumsgespräche mit Filmemachern lauschen möchte. Das gleichzeitig stattfindende Filmfest München hielt wohl nur ein paar Fachbesucher von Ludwigshafen fern, während das Publikum aus der Region abermals in Rekordzahl das mehr als 50 Filme umfassende Programm wahrnahm. Waren es 2005 zur ersten Ausgabe noch unter 10 000, so zählte man heuer ganze 78 000 Besucher – also mehr als in München! Auch die im vergangenen Jahr etablierte Verlängerung des Festivals auf stolze zweieinhalb Wochen hat sich positiv ausgewirkt und sorgt für eine Entzerrung des Andrangs. So bleibt die Kinoinsel mit zehn Jahren und fester Verankerung in der Festivallandschaft ein wunderbar entspannter Ort.
Diese Erfolgsgeschichte feierte Festivaldirektor Michael Kötz als durchaus skurrilen Kindergeburtstag mit Torwandschießen und einem »Klatschometer«, mit dessen Hilfe ein Lieblingsfilm der vergangenen Festivalausgaben gekürt wurde. Und ob geplant oder ungeplant, Kinder und Jugendliche waren die Protagonisten in vielen Wettbewerbsfilmen, meist in schwierigen, ja gefährlichen Situationen.
In Wolfskinder von Rick Ostermann kämpfen Waisen im Sommer 1946 in Ostpreußen ums Überleben, in Edward Bergers Jack zieht ein Zehnjähriger mit seinem kleineren Bruder durch Berlin. Dass Jack den Publikumspreis des Festivals gewann, verwundert nicht, überzeugte doch der junge »Star« Ivo Pietzcker nicht nur im Film, sondern auch beim Filmtalk mit Selbstbewusstsein und Fachbegriffen – obwohl er gar nicht Schauspieler werden will.
Kreuzweg, wie Jack auf der Berlinale uraufgeführt, erzählt von einer 14-Jährigen, die ihr religiöser Fanatismus in eine ausweglose Situation bringt, und in Patong Girl, einer der wenigen Premieren, verliebt sich ein 18-Jähriger (Max Mauff) beim Familienurlaub in Thailand in die schöne Fai, die ein Geheimnis hat – der Ausgangspunkt eines witzigen und klugen Versuchs über Vorurteile und Geschlechterrollen. Ein Highlight aus der Kinderfilmreihe: Deine Schönheit ist nichts wert... von Hüseyin Tabak berührt durch seine souveräne Gestaltung, mehr aber noch durch den sensationellen Hauptdarsteller Abdulkadir Tuncer, der als schüchterner 12-jähriger Veysel mit seiner kurdischen Familie seit kurzem in Wien in »prekärem Status« lebt, kaum Deutsch kann und sich nicht traut, das Nachbarsmädchen anzusprechen.
So viele schöne, gute, berührende Filme der Wettbewerb zu bieten hatte, noch augenfälliger als in den vergangenen Jahren war das qualitative Gefälle. Innovationen und eine Schau des Besten aus dem Filmjahr sind Programm, doch wie passen da mehrere zwar thematisch interessante, dramaturgisch wie stilistisch aber ganz und gar vorhersehbare Fernsehproduktionen hinein? Hatte der deutsche Film in den vergangenen Monaten nicht mehr Außergewöhnliches zu bieten, mit Die Frau des Polizisten, Love Steaks, Tore tanzt oder Ich fühl mich Disco? Fast scheint es, als unterschätzten die Programmmacher die Offenheit ihres Publikums. Stattdessen lief im Wettbewerb mit Der Schatten des Körpers des Kameramanns ein »Experimentalfilm«, der vor allem durch Prätention auffiel.
Die Jury allerdings, bestehend aus den Schauspielern Hans-Jochen Wagner, Liv Lisa Fries und Jockel Tschiersch, hatte ein gutes Händchen und vergab den Hauptpreis an Jan Schomburgs Vergiss mein Ich, sicherlich einer der spannendsten – und irritierendsten – Beiträge, der aus dem Thema Amnesie einen philosophischen Diskurs über Identität und Freiheit entfaltet. »Besondere Auszeichnungen« erhielten ebenfalls verdient Die Moskauer Prozesse, der in Form eines Re-Enactments von Gerichtsverfahren die Spaltung der heutigen russischen Gesellschaft verdeutlicht, sowie Im Schmerz geboren, ein »Tatort« mit Ulrich Tukur von Florian Schwarz. Aus den TV-Produktionen im Wettbewerb stach er heraus mit heftigem Genregestus, Shakespeare-Monologen und einem diabolischen Ulrich Matthes. So viel Mut und Frechheit, wie sie die Macher dieser Sonntagabendunterhaltung bewiesen, wünscht man dem Festival für seine kommenden Flegeljahre.
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