Kritik zu Die Frau des Polizisten
Sie könnten so glücklich sein: Philip Grönings neuer Film handelt von einem jungen Polizisten, seiner Frau und seinem Kind – und davon, wie die Enge
und Abhängigkeit in Gewalt umschlägt
Ganz vorsichtig und sanft streicht Uwe Perkinger über den blauen Fleck auf der Schulter seiner Frau Christine. Seine Finger berühren kaum ihre Haut. Es ist eine Geste voller Liebe und Zärtlichkeit. Doch in dieser Liebkosung liegt etwas Abgründiges. Schließlich war er es, der ihn Christine beigebracht hat, in einem seiner gleich einem Gewitter aus heiterem Himmel kommenden Wutanfälle.
Später wird Uwe dann seiner kleinen Tochter Clara erzählen, dass ihre Mutter unter einer Krankheit leide und deswegen am ganzen Körper mit blauen Flecken übersät sei. Es würde reichen, sie leicht zu zwicken, und schon sei da ein weiterer Fleck. Die Fassade muss aufrechterhalten werden, zumindest vor dem kleinen Mädchen. Zudem braucht er gelegentlich eine Verbündete. Also versucht er, die Tochter so auf seine Seite zu ziehen.
Philip Gröning lässt sich Zeit, immer und immer wieder. In 59 kurze und kürzeste Kapitel hat er sein dunkles, von Gewalt und Abhängigkeit, von Liebe und Zorn erzählendes Familienporträt unterteilt. Jedes von ihnen deutlich abgesetzt vom vorherigen. Mit jedem Kapitel beginnt die Erzählung noch einmal neu. So lenken Gröning und seine Koautorin Carola Diekmann den Blick auf den Moment, auf einzelne Situationen, die sich eben nicht zu einem großen, alles klärenden Bogen fügen. Leben, so wie die beiden es in diesen Schnipseln einfangen, hat keine Linie. Es setzt sich zusammen aus Augenblicken und erweist sich dabei als nicht enden wollende Reihung von Widersprüchen.
Nur in wenigen Kapiteln bricht die Gewalt ganz offen hervor. Aber sie ist trotz allem immer präsent, genauso wie die Liebe. In einer wundervollen Szene tollen Christine und Uwe wie verliebte Teenager im Badezimmer herum. Sie jagt auf engstem Raum hinter ihm her und benutzt dabei die Munddusche wie eine Wasserpistole. Eine fast schon schmerzliche Unschuld liegt in der verspielten Ausgelassenheit dieses von Alexandra Finder und David Zimmerschied verkörperten Paares. Sie könnten so glücklich sein.
Im Spiel behält Christine die Oberhand. Aber ansonsten ist sie Uwe ganz ausgeliefert. Was er auch tut, wie sehr er sie auch terrorisiert und verletzt, sie kommt nicht los von ihm. Diese Abhängigkeit offenbart sich in jeder zaghaften Bewegung und in jedem fragenden Blick von Alexandra Finder. Sie spielt diese in einer zerstörerischen Beziehung Gefangene mit einer Intensität und einer Präzision, die schon fast furchterregend sind. Selbst in den vielen Szenen, in denen Christine mit ihrer Tochter spielt, ist da immer dieses Gefühl von Enge und Ausweglosigkeit. Sie macht alles, damit Clara sich geliebt und beschützt fühlt. Doch in ihrem Inneren ist sie weitaus verletzlicher und verlorener als das Mädchen. Clara fürchtet sich zwar vor ihrem Vater, aber sie kann diese Angst noch vergessen und zu seiner Komplizin werden. Christine hat dagegen niemanden.
Als sich Uwe und Clara gegen Christine verschwören, fällt sie tiefer und tiefer. Ein Sturz ins unendliche Nichts, den Philip Gröning, der auch für die Kamera verantwortlich ist, als Moment des Gefangenseins und der Scham inszeniert. Äußerlich verändert sich nichts. Obwohl eigentlich die Welt einstürzen und sich ein riesiger Abgrund auftun müsste, bleibt alles, wie es war. Aber in Christines Inneren öffnet sich in diesem Augenblick ein schwarzes Loch, dessen mitleidloser Sog sich in Alexandra Finders Augen spiegelt.
An psychologischen Erläuterungen hat Philip Gröning kein Interesse. Er zeigt einfach, was innerhalb dieser kleinen Familie geschieht. Dabei richtet sich sein Blick immer wieder auch nach außen, auf den Fuchs, der nachts durch die Straße vor dem Haus der Perkingers streift, auf die Verkehrsunfälle, zu denen Uwe gerufen wird, und auf einen alten Mann, der alleine in seinem alten Haus vor sich hin lebt. So zeugt jedes einzelne Kapitel auf seine eigene Weise von der Einsamkeit und der Verlorenheit der Menschen.
In 59 Variationen erzählt Gröning von einer mitleidlosen Welt, die sich einfach weiterdreht, und für jede dieser Variationen hat er eine eigene filmische Sprache gefunden. Mal wirft er sich mit der Handkamera regelrecht in eine Szene hinein, mal bleibt er ein distanzierter Beobachter. Mal begegnet er den Figuren auf Augenhöhe, mal fällt sein Blick von oben auf ihr Treiben. Doch immer spürt man eine bedrückende Nähe, ein unendliches Mitgefühl, das einen sprachlos und zutiefst getroffen zurücklässt.
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