Kritik zu Kreuzweg
Unter vielen Arten des Glaubens die eine richtige finden: Dietrich Brüggemann (»Drei Zimmer/Küche/Bad«) erzählt in seinem neuen Film eine moderne Passionsgeschichte
Ein junger Pfarrer sitzt mit seinen »Jüngern« im letzten Unterricht vor der Firmung. Maria, ein blasses einfaches Mädchen ist die beflissenste Schülerin von allen, meldet sich unablässig, weiß immer die richtige Antwort, muss gebremst werden, damit auch die anderen zu Wort kommen. Die Jugendlichen werden eingeschworen auf einen unermüdlichen Kampf gegen unzüchtige Gedanken, Taten und sogar Bewegungen, wie sie beispielsweise von den »satanischen« Rhythmen des Soul und Gospel provoziert werden. Völlig unbewegt nimmt die Kamera die Szene frontal in den Blick, während die Schauspieler in einer langen, ungeschnittenen Szene vor ihr agieren, eingesperrt in einem beklemmenden Gefängnis des Glaubens.
Vor der Szene stand auf schwarzem Grund in schlichten Buchstaben zu lesen: »1. Jesus wird zum Tode verurteilt.« In den folgenden 107 Minuten wird die 14-jährige Maria in ihrer kleinen ländlichen Gemeinde die Stationen des Kreuzweges auf ihre Weise durchlaufen, bis zum bitteren Ende. Dabei haben die Brüggemanns die festgelegten Stationen sanft ans alltägliche Leben angepasst, so reicht beispielsweise statt Veronika das französische Au-pair-Mädchen Bernadette der weinenden Marie ein Taschen- und kein Schweißtuch.
Nach dem fröhlichen Chaos weitgehend sorgloser Fastdreißiger in »Drei Zimmer/Küche/Bad« hat Dietrich Brüggemann zusammen mit seiner Schwester Anna Brüggemann als Koautorin des Drehbuchs jetzt die Tonart radikal gewechselt, um, wie er sagt »von wild gewordenem Katholizismus« zu erzählen, den er in seiner Schulzeit in Baden-Württemberg beobachtet hat. Die fiktive Priesterbruderschaft Sankt Paulus hat er an die reale Piusbruderschaft angelehnt, in der eine besonders strenge Form des Katholizismus praktiziert wird. Am Ende des Firmungsunterrichts beschließt Marie, ihr Leben Jesus anzubieten, um mit ihrem Opfer einen anderen Menschen zu retten, und zwar ihren stummen kleinen Bruder, der unter einer mysteriösen Krankheit leiden soll, dem es aber womöglich einfach nur die Sprache verschlagen hat in diesem beklemmenden Klima von Kontrolle und Disziplin, in dem die Liebe nichts Zärtliches hat.
Nach der quirligen Berliner Metropole in »Drei Zimmer/Küche/Bad« ist jetzt das hügelige Land der Schauplatz, auf das beschwingte Ausprobieren folgt nun der verzweifelte Versuch, sich mit rigiden Regeln zu arrangieren, auf die verspielte Selbstfindung eine radikale Selbstverlierung. Zu den üblichen Problemen der Pubertät kommt für Maria die unüberbrückbare Kluft zwischen der rückwärtsgewandten Sittenstrenge in ihrem Elternhaus und den modernen Sitten in der Schule. In einer herzzerreißenden Szene gesteht Maria zu Hause beim Abendessen eine kleine Notlüge, die in jeder anderen Familie eine Lappalie wäre: Aus dem Jungen, mit dem sie zum Chor einer anderen Gemeinde gehen möchte, hat sie vorsichtshalber ein Mädchen gemacht, weil sie natürlich weiß, dass ihre Mutter ihr da sofort unterstellen würde, dass aus der teuflischen Gospelmusik noch ganz andere Unzüchtigkeiten erwachsen. Statt einer kleinen Rüge ergießt sich über das arme Mädchen daraufhin ein vernichtender Schwall von Beschimpfungen und Unterstellungen der Mutter, während gegenüber am Familienesstisch ihr Vater wie ein hypnotisiertes Kaninchen zuschaut, anstatt einzuschreiten. Die junge Österreicherin Franziska Weisz verwandelt sich hier auf erschreckende Weise in eine selbstgerecht eifernde Matrone, in ein Muttermonster, das ihrer Tochter die Luft zum Atmen nimmt. Es ist bestürzend, mitanzusehen wie dem gottesfürchtigen Mädchen jeder Spielraum genommen wird, wie ihre kindliche Neugier erstickt wird und ihre Freude am Leben.
Es gibt viele Arten zu glauben, sagt der Mann vom Beerdigungsinstitut, dem Hanns Zischler eine Menschlichkeit verleiht, die in starkem Kontrast zu der selbstgerechten Härte der Mutter steht. »Aber nur eine richtige«, herrscht sie ihn an. Irgendwann reißt ihr Panzer aber doch auf, und sie bricht in Tränen aus. Gott sei Dank. »Kreuzweg« ist ein starker Film über die Verbrechen, die im Namen eines fundamentalen Glaubens begangen werden, und damit auch ein Film, der vielfältige Fragen zu Toleranz aufwirft.
Kommentare
Kreuzweg
Ein unglaublich berührender Film - mit einer ebensolchen schausspielerischen Glanzleistung der Hauptdarstellerin.
zu dem Film "Kreuzweg"
Der ganze Film erinnert mich an meine Mutter. Sie wurde geprägt durch eine schweizer Mennoniten- Gemeinde. Ich hatte das Gefühl einer Sekte entkommen zu sein, als ich mit Mitte dreißig begann meinen eigenen Weg zu gehen. Statt Liebe gab es von früh an Kritik u. biblische Belehrungen. Ich leide trotz Therapien auch mit 61 Jahren noch ... Dabei bin ich natürlich froh, dass ich mich herauslösen konnte - ich habe meinen eigenen christlichen Glauben entwickelt- aber ich gehe in keine Gemeinde, weil ich nie wieder erleben möchte, dass mir jemand sagt, was ich vor Gott tun oder lassen soll. Vielleicht ändert sich das noch, denn ich würde gerne in eine Gemeinde gehen.
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