Kritik zu Call Me By Your Name

© Sony Pictures

Der italienische Regisseur Luca Guadagnino verfilmt André Acimans Roman als bezaubernde ­Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern, mit warmen, von Sommerlicht gefluteten Bildern, denen die Melancholie über die Vergänglichkeit erster Liebe eingeschrieben ist

Bewertung: 4
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5
5 (Stimmen: 1)

»Later« – diesen beinahe provozierend knappen Abschiedsgruß schleudert der 24-jährige Oliver (Armie Hammer) den Perlmans immer wieder entgegen. Meist reagieren Professor Perlman (Michael Stuhlbarg), seine Frau Annella (Amira Casar) und ihr 17-jähriger Sohn Elio (Thimothée Chalamet) mit einem ironischen Lächeln auf dieses »Später«. Doch in Wahrheit irritiert sie das etwas brüske Auftreten des amerikanischen Doktoranden, der einen viel zu kurzen Sommer lang im Rahmen eines Stipendiums in der Villa der Perlmans im Norden Italiens zu Gast ist. »Später«, das ist ein Versprechen und zugleich Olivers Art, die anderen zu vertrösten. Später wird er zur Stelle sein, ihre Sehnsüchte werden sich erfüllen. Doch das ist natürlich eine Illusion. Mit diesem »Später« suggeriert Oliver sich und vor allem Elio, dass sie alle Zeit der Welt haben. Ein Irrtum, den beide am Ende des Sommers auf ihre eigene Art bereuen werden.

Luca Guadagnino nimmt sich genau wie Oliver zunächst jede Menge Zeit. Es ist fast so, als ob die Strahlen der sommerlichen Sonne nicht nur die Perlmans und deren Freunde und Bekannte träge machen. Auch Guadagninos Verfilmung von André Acimans Roman »Call Me by Your Name« treibt erst einmal gemächlich vor sich hin. Ständig sitzt man im Schatten der Villa bei Wein und Essen zusammen oder sucht Abkühlung im Wasser. Auf eine geradezu hypnotische Weise beschwören Guadagnino und sein Kameramann Sayombhu Mukdeeprom in ihren von einem warmen, einladenden Licht durchfluteten Bildern ein verführerisches Sommergefühl herauf. Die Zeit scheint an diesen Sommertagen tatsächlich nahezu stillzustehen. Und vielleicht ist es genau dieser Eindruck von Endlosigkeit, der den innerlich noch unsicheren Elio und den sich nie endgültig festlegenden Oliver dazu verleitet, Tage und Woche zu verschwenden.

Eigentlich wissen Elio und Oliver von Anfang an um die erotische Spannung, die sie miteinander verbindet. Aber sie zögern und treiben Spielchen. Mal hält Elio, der auch noch von der gleichaltrigen Marzia (Esther Garrel) umschwärmt wird, Oliver auf Distanz. Mal vertröstet Oliver den jungen Europäer. Und so dauert es, bis die beiden schließlich doch zusammenkommen. Aus dem »Später« wird ein »Jetzt«, das allerdings etwas Brüchiges und Vorläufiges hat. »Call Me by Your Name« spielt im Jahr 1983. Elios Vater beschäftigt sich als Kunsthistoriker zwar vor allem mit der sinnlichen Ausstrahlung antiker griechischer und römischer Statuen. Aber selbst in diesem Umfeld ist eine Beziehung, wie sie sich zwischen Elio und Oliver entwickelt, nicht selbstverständlich. Auf jeden Fall haben beide das Gefühl, sich verstecken zu müssen.

Nach dem anfänglichen Hin und Her, diesem enervierenden und doch erregenden Pas de deux von Flirt und Verweigerung, stürzen sich Elio und Oliver regelrecht in ihre Beziehung. Jeder will sich im anderen verlieren. »Call Me by Your Name«, das ist ein Spiel der Liebenden, die sich im anderen finden wollen. Elio ist Oliver, Oliver Elio. Aber bei aller Leidenschaft ist diese Versuchung der Entgrenzung doch nur eine weitere Täuschung. Beide bleiben sie selbst und verstehen letztlich nicht, was sie tatsächlich aneinander haben. Das erkennt nur Professor Perlman, der in einem der schönsten Vater-Sohn-Gespräche der Filmgeschichte Elio die Augen über seine Freundschaft mit Oliver öffnet. Sie war etwas Einmaliges, von dem die meisten nur träumen können.

»Später« heißt eben auch, dass der Mensch oft erst wirklich versteht, was er hatte, wenn er es wieder verloren hat. Und so erzählen Guadagnino und seine beiden ungeheuer präsenten Hauptdarsteller nicht nur von einer großen Liebe, sondern auch von ihrer Endlichkeit. Das Wissen, dass es eben kein »Später« gibt, verleiht dem Jetzt einen noch stärkeren Zauber. Eine melancholische Note schwingt also von Anfang an in den traumhaft schönen Sommerbildern mit, aber das wird einem erst im Nachhinein bewusst. Damit geht es dem Zuschauer wie Elio und Oliver. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen magischen Film über einen magischen Sommer.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein wunderschöner Film. Er zeigt, was in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist: Nähe, Liebe, Verständnis. Das comimg out ist dabei nebensächlich.

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