Interview: Viggo Mortensen über »The Dead Don't Hurt«

»The Dead Don't Hurt« (2023). © Alamode Film

»The Dead Don't Hurt« (2023). © Alamode Film

Mr. Mortensen, war für Sie von Anfang an klar, dass Sie diese Geschichte einer starken Frau als Western erzählen wollten oder hatten Sie auch andere Genres im Visier?

Nein, das stand für mich von Anfang an fest. Ich fand es interessant, die Geschichte dieser Frau im Umfeld des 19. Jahrhunderts und im amerikanischen Westen anzusiedeln, weil klar war, dass dies Hemmnisse für ihre Entfaltung waren, dass sie sich durchsetzten müsste gegen dominante und gewalttätige Männer.  

Haben Sie Sich zur Vorbereitung bestimmte Western wieder angesehen?

Ich habe sehr, sehr viele wiedergesehen, alle, die ich als Teenager gesehen hatte. Die meisten waren keine Meisterwerke, das fällt im Western besonders auf, weil es so viele außergewöhnliche gibt. Aber ich fand auch in schlechten Western etwas, gerade in den frühen, weil sie zeitlich so nah dran sind an dem, wovon sie erzählen. Oft schickte ich sie den Darstellern mit der Bemerkung, dies sei kein guter Film, aber sie sollten sich anschauen, wie der Hautdarsteller auf sein Pferd zugeht oder ähnliches.

Die Geschichte wird weitgehend aus der Perspektive der weiblichen Hauptfigur erzählt. Hat sie das als männlicher Drehbuchautor je vor Probleme gestellt?

Ich sehe mich nicht als männlichen Drehbuchautor, sondern als Geschichtenerzähler, der neugierig ist auf die Geschichte dieser Frau, die ursprünglich von meiner Mutter inspiriert wurde. Ich mag das Westerngenre, aber ich hatte keinen Western gesehen mit einer normalen Frau als Hauptfigur. Es gibt solche mit Schauspielerinnen wie Barbara Stanwyck (»Forty Guns« und »The Furies«), Marlene Dietrich oder Claudia Cardinale – aber das waren immer ungewöhnliche, außerordentliche Frauen; ich dagegen wollte eine ganz normale Frau zeigen, das wurde im Western vernachlässigt, auch von Regisseurinnen. Ich kann mich auch an keinen Film erinnern, der bei der Frau bleibt, wenn ihr Mann in den Krieg zieht.

Im Nachspann widmen Sie den Film einer Frau, Grace Atkinson...

Das ist der Mädchenname meiner Mutter. Ich erzähle allerdings nicht ihre Geschichte, wohl aber ihre Persönlichkeit: eine normale Frau, aber mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein.

Ihr Film arbeitet mit Rückblenden und einer elliptischen Erzählweise. War das schon so im Drehbuch angelegt? Manch einer wird vielleicht vermuten, Sie hätten einen zu langen Film abgeliefert und mussten ihn dann kürzen, was zu den Ellipsen führte...

Nein, das Drehbuch war schon nicht-linear angelegt. Ich habe später nur wenig verändert, beim Schnitt haben wir den Film einmal in eine chronologische Erzählweise gebracht, das funktionierte auch, aber mir gefiel diese Struktur besser. So, wie wir jetzt Vivien kennenlernen, bekommt alles ein anderes Gewicht – weil wir von Anfang an wissen, dass sie sterben wird.

Das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen mit ihrer Mehrsprachigkeit spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Film. Hängt das mit Ihrer eigenen Herkunft zusammen, mit einer Mutter und einem Vater, die aus unterschiedlichen Kulturen kamen?

Nicht unbedingt – es ist einfach historisch korrekt. Nicht weniger wichtig war die historisch richtige Kleidung, die Akzente, die Waffen. Das Land war ja damals schon sehr divers, auch wenn das, gerade im Western, nicht immer korrekt dargestellt wird. Das geht ja bis in die rechten Bewegungen von heute, nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa. So etwas wie 'Österreich den Österreichern' ist ja kompletter Unsinn. Wenn man in den USA zu jener Zeit nicht gerade eine indigene Person war, dann kam man aus allen möglichen Kulturen.

Die nicht-amerikanischen Charaktere sind in diesem Film ungleich emphatischer als die Amerikaner...

Das war kein ideologisches Konzept, aber wenn man von Kindheit an verschiedenen Sprachen und Kulturen ausgesetzt ist (wie es bei mir der Fall war), hat man keine Angst vor ihnen, man empfindet sie nicht als Bedrohung. Ich glaube, Ignoranz und Gewalttätigkeit haben oft damit zu tun, mit der Angst vor dem Anderen. Das wird ja heute wieder von Politikern in Europa und den USA ausgenützt, wenn sie Ängste schüren.

Wenn Sie selber vor der Kamera stehen, wie kontrollieren Sie dann Ihre Darstellung? Schauen Sie es sich zusammen mit dem Kameramann unmittelbar danach an?

Manchmal ja – wenn ich das Gefühl habe, dass es ein Problem geben könnte und wenn der Kameramann sagt, er sei sich nicht sicher, ob es perfekt war. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, wenn ich beide Funktionen ausübe, arbeite ich effizienter, weil ich gar keine Zeit habe, mir über bestimmte Dinge Gedanken zu machen. Ich bin vollkommen präsent.

Sie haben, wie bei »Falling«, auch diesmal die Musik selber komponiert.

Das hat sich bei »Falling« eher zufällig ergeben, es ist auch nicht gesagt, dass das bei meinem nächsten Film der Fall sein wird. »Falling« hat sich über viereinhalb Jahre hingezogen und ich hatte das Glück, dass der Hauptdarsteller Lance Henricksen mir die ganze Zeit über die Treue hielt. Ich schickte dem Kameramann Marcel Zyskind ein Flugticket und schrieb dazu, lass uns Aufnahmen an ein paar Orten machen, die als Drehorte in Frage kommen, wenn wir die Finanzierung endlich zusammen haben. In diesen viereinhalb Jahren machte ich mir auch Gedanken über die Musik und fing an, einige Aufnahmen zu machen. Das war hilfreich beim Dreh, ebenso im Schneideraum, weil es Stimmungen vorgab. Weil das so gut funktionierte, habe ich das bei diesem Film erneut gemacht, diesmal allerdings ganz bewusst. Ich wusste genau, was ich wollte und bin ausgegangen von den musikalischen Einflüssen der Zeit. Ich habe mir zwei talentierte Musiker gesucht, denen ich beschrieb, worum es in den einzelnen Szenen ging – wir hatten fast den kompletten Soundtrack fertig, bevor wir mit dem Dreh begannen. Das haben wir dann dem Kameramann und anderen Mitgliedern des Teams vorgespielt. Da der Film nichtlinear erzählt ist, war die Musik auch hilfreich für einige der Übergänge. 

Bei der Danksagung im Nachspann lesen wir unter anderem die Namen von Agnes Varda und Peter Bogdanovich. Darüber würde ich gerne mehr wissen.

Bevor ich meinen ersten Film inszenierte, traf ich Agnes Varda während eines Fluges, bei dem ich einige Stunden lang neben ihr saß. Sie war damals schon krank, aber sehr großzügig mit ihrer Zeit für ein Gespräch über das Filmemachen und das Leben. Sie fragte mich, was ich als nächstes machen werde und ich erzählte ihr von meinem bevorstehenden Regiedebüt. Sie meinte, »Gut – aber stell' sicher, den Zuschauern nichts zu zeigen.« Das irritierte mich, ich erwiderte: »Aber Film ist doch ein visuelles Medium...«  Sie meinte: »Zeig Ihnen nichts, aber erwecke durch Deine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler in ihnen den Wunsch, etwas sehen zu wollen. Oft ist das, was Du nicht zeigst, genauso wichtig oder wichtiger als das, was Du zeigst.« Das gefiel mir und ich habe es in in »Falling« und auch in diesem Film beherzigt.

Als »Falling« im Herbst 2020 herauskam, gelang es mir kaum, dafür Kinos zu finden, weil die Pandemie herrschte. Nur in Spanien lief er, aufgrund von Mundpropaganda, fünf Monate lang. Weil es mein erster Film als Regisseur war, wollte ich eine aufrichtige Meinung von Leuten aus der Branche hören, so verschickte ich Links an viele Regisseure, von denen ich nur einige persönlich kannte. Peter Bogdanovich kannte ich nicht, aber ich konnte ihn kontaktieren und fragte ihn, ob er Interesse habe. »Klar«, sagte er, er könne im  Augenblick genauso wenig machen wie ich selber. Ich schickte ihm den Film und er hatte einige wirklich interessante Kommentare. Wir blieben danach in Kontakt, ich stellte ihm alle möglichen Frgen, auch zu Howard Hawks und John Ford, die er beide interviewt hatte. Er gab mir viele praktische Ratschläge.

Sie haben einen eigenen Verlag, Perceval Press. Wie vertreiben Sie Ihre Bücher?

Per Post, über das Internet. Es gibt aber auch einige Buchhandlungen, die wir beliefern. 

Veröffentlichen Sie da nur eigene Texte?

Nein. Von Zeit zu Zeit, nicht jedes Jahr, bringe ich einen Band mit Gedichten oder Fotos heraus, Das ist eine Hilfe, weil sie sich verkaufen und die anderen Titel mitfinanzieren. Das sind alle Arten von Büchern: Gedichte, Kunst, soziale Kommentare, Essays, sogar ein paar Romane, wir haben viele verschiedene Sachen gemacht. Wenn Sie auf personalpress.com schauen, können Sie Sich selber ein Bild machen. Dort finden Sie Besprechungen und Empfehlungen. Mein Sohn Henry ist derjenige, der sich darum kümmert.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Verlag von Viggo mortensen heißt Perceval Press, nicht Personal Press.

Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den korrekten Namen eingefügt. Besten Gruß aus der Redaktion, Christian Hein

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