Interview: Ole Bornedal über »Nightwatch: Demons Are Forever«
»Nightwatch: Demons are forever« (2023). © Capelight Pictures
Herr Bornedal, dreißig Jahre nach »Nightwatch«, 27 Jahre nachdem Sie davon ein englischsprachiges Remake gedreht haben, legen Sie jetzt eine Fortschreibung des ursprünglichen Films vor. Ist dieser Film das Resultat einer langjährigen Überlegung oder kam er eher schnell zustande?
Diese Idee hatte ich schon länger, aber lange Zeit machte das Projekt keine Fortschritte, weil ich nicht den richtigen Zugang fand. Ich glaube, der erste Film war deshalb erfolgreich, weil er nicht nur ein Horrorthriller war, sondern auch eine psychologische, eine philosophische Dimension besaß, nämlich im Erwachsenwerden der beiden jungen Männer. In diesem Prozess fordern sie sich gegenseitig heraus und dann fordern sie den Dämon selber heraus. Der taucht dann auf und zeigt diesen beiden kleinen Bastarden, dass sie vielleicht erst einmal erwachsen werden sollten. Das besaß ein großes Identifikationspotenzial für das Publikum, denn jeder muss lernen, mit dem Erwachsenwerden umzugehen, sich von einem dummen Teenager zu einem verantwortungsvollen Erwachsenen zu entwickeln. Das war die philosophische Basis des ersten Films – einen Horrorfilm zu machen, der die Zuschauer erschreckt, ist nicht so schwer, das ist ein Genre, das ich nicht mag, weil ich den Eindruck habe, den meisten Filmen geht es nur ums Erschrecken, sie haben kein philosophisches Fundament. Als ich von vielen verschiedenen Seiten gefragt wurde, ob ich eine Fortsetzung machen könne, erwiderte ich, dazu müsste ich erst den richtigen Zugang finden. Als mir klar wurde, dass der Schlüssel wiederum darin lag, ein Thema zu finden, zu dem jeder Zuschauer eine Verbindung herstellen konnte, klappte es.
Sie erzählen das Ganze als Familiengeschichte...
Ja, es geht um die Geheimnisse, die es in jeder Familie gibt - der Elefant im Raum, der sich in jeder Familie findet: was geschah mit Vater, was geschah mit Mutter, warum verhält sich Großmutter so? Das war der Schlüssel für die Protagonistin Emma, die nie verstanden hat, warum ihre Mutter Selbstmord beging, warum ihr Vater seine einstige Stärke mehr und mehr verliert. Sie will jetzt diese Geheimnisse aufdecken, das war der Schlüssel, damit konnte ich arbeiten. Damit konnte ich eine erschreckende Geschichte schreiben, denn jetzt hatte ich die psychologische Basis dafür. Ich hatte zuvor schon einige Skizzen angefertigt, aber darin fand sich nur der Schrecken. Als ich mit den Weinsteins arbeitete, nachdem ich 1995 in die USA gekommen war, boten Sie mir diesen Film an, den Kevin Williamson geschrieben hatte, »Scream«. Ich las das Drehbuch und sagte, das könne ich nicht machen. Jahrelang zog mich Bob Weinstein damit auf: »Das ist derjenige, der »Scream« nicht machen wollte!« Wes Craven machte es und es wurde ein 300-Million-Dollar-Erfolg, der ein Franchise begründete. Ich habe den Film gesehen und es war für mich nicht mehr als eine clevere Achterbahnfahrt.
Als Ihre Tochter Fanny, die im neuen Film die Protagonistin Emma verkörpert, das Drehbuch gelesen hatte, hat sie Sie da auch gefragt, ob es in ihrer Familie irgendwelche Geheimnisse gäbe, von denen Sie ihr nichts erzählt hätten?
(lacht): Nein, ich glaube, sie kennt alle Geheimnisse. Wir sind immer ganz offen damit umgegangen. Was mir im Übrigen auch die Idee gab, eine Fortsetzung zu machen, ist die Tatsache, dass es spannend ist, für einen bestimmten Darsteller eine Figur zu erschaffen. Fanny hat in so vielen von meinen Filmen mitgewirkt. Sie verfügt über eine ganz eigene Mischung, einerseits sehr zerbrechlich, andererseits sehr stark zu sein. Mit dieser Dualität zu arbeiten, war eine Herausforderung. Ähnlich war es, Kim Bodnia wiederzutreffen, den ich viele Jahre lang nicht gesehen hatte. Er hatte Höhen und Tiefen in seiner Schauspielerkarriere und ist im Augenblick sehr intensiv und sehr diszipliniert. Als ich ihn traf, kam mir die Idee für einen anderen Film, in dem er die Hauptrolle übernehmen soll.
Wie schwierig war es, die Darsteller aus dem originalen »Nightwatch«-Film wieder zu vereinen? Mussten Sie dafür lange Wartezeiten in Kauf nehmen? Nikolaj Coster Waldau dürfte nach seiner Mitwirkung bei »Game of Thrones« ja international ziemlich gefragt sein...
Ja, aber nicht in so guten Filmen wie diesem (lacht). Er hat nach der Serie ganz unterschiedliche Sachen gemacht, nicht nur im Ausland, auch viel in Dänemark - viele seiner amerikanischen Filme finde ich eher mittelmäßig.
Mir hat die Szene im Fußballstadion mit den beiden alten Freunden, die sich gerade wiedergetroffen haben, sehr gut gefallen. War die von Anfang an so im Drehbuch oder haben Sie sie vor Ort erweitert?
Nein, die war von Anfang an da. Aber manchmal stellt man beim Drehen und gelegentlich auch erst im Schneideraum fest, dass eine Szene weit eindringlicher ist als man es erwartet hatte. Dies war so eine Szene: wenn die beiden auf das Spielfeld laufen, dann ist das schon sehr emotional. Als Zuschauer ist man entsprechend traurig, dass Kim Bodnia gleich darauf aus dem Film verschwindet – man hätte gerne mehr von ihm gesehen.
Ist der ursprüngliche Film heute in Dänemark noch sehr bekannt, auch bei jüngeren Zuschauern, die damals noch gar nicht geboren waren? Wird er regelmäßig im Fernsehen gezeigt?
Ich glaube, es ist der meistgezeigte Film aller Zeiten. Er taucht auch regelmäßig im Kino wieder auf, man kann schon sagen, er ist eine Institution. Auch in Deutschland war er damals höchst erfolgreich, die Nummer 2 nach »Mission: Impossible«. Vieles ist 1994 passiert in Dänemark, die ersten »Dogma«-Filme kamen heraus. »Nightwatch« war der erste nordic noir, der erste Genrefilm nach Jahrzehnten, der eine ganze Generation von Filmemachern inspirierte, in dieser Richtung zu arbeiten und ihnen eine größere Freiheit gestattete. Zusammen mit den »Dogma«-Filmen, die eine andere Freiheit ermöglichten (nämlich, wie man einen Film machte). Meine Freiheit war die Freiheit, jede mögliche Art von Geschichten zu erzählen, wenn sie unterhaltsam für das Publikum sind.
Der neue Film hat auch diejenigen ins Kino gezogen, die vor Jahren den ursprünglichen Film gesehen hatten?
Oh ja. Der Publikumsanteil des 40+ Publikums war sehr hoch.
In der Originalfassung des Films kommt ein deutscher Begriff vor, den ich noch nie gehört hatte: »Vatersehnsucht«. Was hat es damit auf sich?
Wenn man in Dänemark klug erscheinen will, wechselt man bei Gesprächen ins Deutsche. »Vatersehnsucht« klingt einfach schön. Ich habe einen guten Freund, der Maler ist. Er gibt all seinen Gemälden deutsche Namen – das klingt intellektueller, sagt er.
Der letzte Film, den Sie in den USA gedreht haben, war 2012 »The Possession«. Gab es danach keine guten Drehbücher mehr?
Nein, das lag daran, dass ich »1864« schrieb, eine aufwändige dänische Fernsehserie. Da sich deren Finanzierung hinzog, sagte ich Sam Raimi zu, zuvor noch diesen Horrorfilm zu inszenieren, obwohl die Geschichte kein psychologisches Fundament hatte. Das habe ich Raimi auch gesagt. Ich habe ihn dann umgeschrieben, er war am Ende ziemlich erfolgreich in jenen Ländern, wo man gerne Horrorfilme anschaut. Ich weiß nicht warum, aber in Südamerika, Mexiko, Spanien und Portugal sind die Leute geradezu verrückt danach.
Hat man Sie in Hollywood noch auf der Agenda? Haben Sie dort noch einen Agenten?
Den habe ich noch. Aber wenn ich einen Film drehe wie »The Possession«, dann habe ich die ganze Zeit zehn Executives um mich herumschwirren und muss denen vollkommen überflüssige Fragen beantworten.
Und das war bei der dänischen Fernsehserie nicht der Fall? Die war ja auch ziemlich aufwändig und es gab ausländische Produktionspartner...
Nein, in Dänemark habe ich die ganze Entscheidungsgewalt. Natürlich gibt es Diskussionen mit den Produzenten, aber am Ende des Tages mache ich den Film, wie ich ihn mir vorstelle. Außerdem bin ich ein Familienmensch, ich habe vier Kinder. Für »The Possession« verbrachte ich ein ganzes Jahr in Vancouver und Los Angeles und konnte meine Familie nicht sehen.
Das heißt, Ihre Familie ist die ganze Zeit über in Dänemark geblieben?
Ja. Die Drehbücher, die ich in den USA bekomme, könnten auch viele andere Regisseure inszenieren – vielleicht nicht so gut wie ich (lacht), aber ähnlich. Ich kann da keine Filme machen, die einen Eindruck hinterlassen.
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