Kritik zu Bedingungslos
Ole Bornedals Thriller über Identitätswechsel und Amour fou war der erfolgreichste dänische Film des Jahres 2007
Wer erwachte nicht eines fahlen Regenmorgens und träumte von der Südsee? In Dänemark – so die Schlussfolgerung, die man aus diesem Film ziehen muss – regnet es viel. Und doch würde sich Jonas trotz seiner Urlaubswünsche wohl als glücklichen Menschen bezeichnen. Entspannte Sexszenen lassen darauf schließen, dass der stille Grübler seine Mette ebenso begehrt wie liebt. In seinem Dasein befindet sich alles im grünen Bereich: zwei Kinder, eine angezahlte Eigentumswohnung, ein Job als Polizeifotograf. Früher träumte er davon, Landschaften zu fotografieren statt Leichen. Aber gut.
Die Sehnsüchte, die in dem Familienvater schlummern, werden ihm erst bewusst, als er das Opfer eines von ihm mitverschuldeten Autounfalls besucht. Am Krankenbett hält ihn Julias Familie für jenen geheimnisvollen Sebastian, in den sich Julia auf ihrem Kambodscha-Trip verliebte. Der schwerblütige Jonas ist nicht der Typ, um sich der Vereinnahmung durch die euphorische Verwandtschaft zu erwehren. Halb ziehen sie ihn, halb sinkt er hinab in die gewünschte Rolle. Kaum ist die Tochter aus reichem Verlegerhause dank seines Dornröschenkusses erwacht, als sie, mit 90-prozentiger Amnesie und Blindheit behaftet, dem vermeintlichen Sebastian auch schon ihr Credo vorbetet: Sie sei eine Nonkonformistin, hasse nichts mehr als bürgerliche Rituale und spießige Kleinfamilien. Sie formuliert Jonas' sprachloses Unbehagen an seiner Situation so treffend, dass es auch dem Zuschauer kalt über den Rücken läuft. Wie am Schnürchen spult sich nun jenes Verhängnis ab, das bereits der Filmbeginn vorwegnahm.
Irrlichternd zwischen Midlife-Crisis, fataler Begierde und knalligem Gangsterdrama, erinnert das auf Cinemascope ausgebreitete Geschehen nicht nur an die Noirs der Vierziger, die im Filmdialog explizit erwähnt werden. Krankenhaus-Romanzen wie »Während du schliefst«, »Sprich mit ihr« und »Open Hearts« treffen hier auf Hitchcock'sche Perfidie; nicht zu vergessen Cronenbergs Unfallsex-Fantasien in Crash und Bornedals eigener Nachtwache-Gruselkrimi von 1994 mit seinem rabiaten Leichenhallen-Humor. Erneut setzt er sich reuelos über psychologische Ungereimtheiten hinweg und zieht in fühlbarer Spiellaune die Spannungsschraube stetig fester. Sein auf tarantinoeske, almodovareske Weise überdrehter Genre-Zwitter wird durch ein ausgezeichnetes Drehbuch und eine zügige, ökonomisch durchdachte Inszenierung zusammengehalten, die überspannte Wendungen plausibel macht. Wie einst der Spaghetti-Western, der dem US-Western noch eins draufsetzte, so verleiht die angetäuschte Bergman-Tristesse dieses dänischen Erfolgsfilmes der von Hollywood inspirierten »Kiss-Kiss-Bang-Bang«-Dynamik einen irritierenden Reiz. Von den oben genannten Filmemachern übernimmt Bornedal überdies die Vorliebe für Frauen, die hauen – was nicht nur Gewaltszenen einen »Wow«-Effekt verleiht. So erscheint Jonas (Anders W. Berthelsen aus »Italienisch für Anfänger« und »Mifune«) in dieser wüsten Kolportage wie ein guter Ritter, der die zu schützende Frau naiv verkennt: die Tragödie eines Romantikers, eine Spur lächerlich. Ein düsterer Thriller, der ziemlich gute Laune macht.
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