Interview: Guy Nattiv über »Tatami«

Am Set von »Tatami« (2023). © Judo Production LLC / Juda Khatia Psuturi

Am Set von »Tatami« (2023). © Judo Production LLC / Juda Khatia Psuturi

Herr Nattiv, wo liegen die Ursprünge dieses Projekts?

2019 fand die Judo-Weltmeisterschaft in Japan statt. Dort trat der beste Israeli Muki an, ebenso Mulai für den Iran. Beide sind eng miteinander befreundet. Damals bekam Mulai Drohungen von Seiten des islamischen Regimes. Er erwiderte: »Ich werde antreten und ich werde gewinnen.« – »Wenn Du antrittst, wirst Du einen hohen Preis dafür zahlen.« Das war die Inspiration für diesen Film. In der Folge sahen sich mehr und mehr Athletinnen aus dem Iran mit demselben Problem konfrontiert und beschlossen, ihr Land zu verlassen. So wurde aus einem männlichen Protagonisten eine weibliche Protagonistin. Die Protestbewegung im Iran seit dem Herbst 2022 hat das noch verstärkt, so dass Zara und ich beschlossen, auf diesem Weg weiter zu machen. 

Wie sind Sie mit Zara zusammengekommen?

Ich bekam Ihr Bewerbungsvideo für die Rolle der Mariam. Das war gut, erst danach sah ich »Holy Spider« und begriff, wie gut sie wirklich war. Als sie zusammen mit dem Regisseur Ali Abassi den Film in Los Angeles vorstellte, sprach ich sie nach der Vorführung an und sagte ihr, dass ich sie nicht nur für die Rolle der Mariam haben wolle, sondern auch, dass sie für die Besetzung verantwortlich sein sollte, was sie ja auch bei »Holy Spider« gemacht hatte. Und zu guter Letzt, da ich nicht aus dem Iran stamme, fragte ich sie, was sie davon hielte, wenn wir gemeinsam Regie führen würden. Daraufhin brauchte sie erst einmal Bedenkzeit – und sagte dann nach einer Woche zu.

Wie lief das beim Dreh ab? Mussten die Schauspieler auf Zeichen von Ihnen beiden warten?

Nein, Zar stand ja auch in vielen Szenen vor der Kamera. Wir kontrollierten nach jedem Take die Szene am Monitor und entschieden, ob eine Wiederholung notwendig war. Wenn sie nicht selber vor der Kamera stand, kümmerte sie sich bei den Szenen mit den persischen Schauspielern um diese, während ich mich dabei auf die Kamera konzentrierte. Ich habe schon früher mit Co-Regisseuren gearbeitet, aber dies war eine wirkliche Bereicherung. Wir haben beschlossen, diese Arbeit fortzusetzen.

Der Film spielt während einer Weltmeisterschaft in Tiblissi, der Hauptstadt von Georgien. Was gab den Ausschlag dafür?

Tblissi liegt in der Mitte zwischen Teheran und Tel Aviv, jeweils zwei Flugstunden entfernt. Und so verrückt wie es ist: viele Israelis machen dort Urlaub. Außerdem gilt Georgien als Metropole des Judo in Europa, viele Champions kommen aus diesem Land. Wir entschieden uns dafür, weil es eine tolle Location ist. Als ehemalige Sowjetrepublik sind die Sportstadien dort im monumentalen Baustil der fünfziger Jahre gehalten, das gefiel uns. Den Film haben wir dabei unter dem Radar gedreht: die Schauspieler waren auf verschiedene Hotels verteilt, wir änderten unsere Namen und haben nichts über den Film verlauten lassen. In den Hotels sprachen wir weder Hebräisch noch Farsi, denn zwei Wochen vor Drehbeginn hatte der Mossad ein iranisches Kommando aufgedeckt, das dort versuchte, einen israelischen Geschäftsmann zu töten. Und Zar ist ja ein bekanntes Gesicht im Iran.

Waren georgische Stellen auch an der Produktion des Films beteiligt?

Ja, die Produktionsfirma hat dort ihren Sitz, aber auch sie arbeitete unter dem Radar.

Wo rekrutierten Sie die persischen Darsteller?

Die hatten alle schon bei »Holy Spider« mitgewirkt und waren mit Zar befreundet. Eine Darstellerin kam aus dem Iran, in den sie jetzt nicht zurückkehren kann, aber die meisten waren Exil-Iraner aus Frankreich und Deutschland. Die Judoka waren echte Judoka aus der Ukraine. 

Als Sie den Stoff recherchierten, stießen Sie dabei auf andere Fälle wie diesen, wo Sportler auf offizielle Anweisung eine Verletzung vortäuschen mussten, um nicht gegen einen bestimmten Gegner antreten zu müssen?

Ja. Zar hat einen guten Freund, der dafür ihre Quelle war. 

Die Szene, in der der Geheimdienst der Judoka auf ihrem Handy die Verhaftung ihres Vaters im Iran zeigt, um sie damit unter Druck zu setzen, ist sehr eindringlich. Konnten Sie herausfinden, was in solchen Fällen mit den Angehörigen geschah?

Die Sportler verloren den Kontakt zu ihnen, entweder waren sie im Gefängnis oder tot.

Gelang es denn den Angehörigen eines Sportlers auch mal, das Land heimlich zu verlassen? Ihr Film erweckt in dieser Hinsicht ja eine Hoffnung.

Nein, das war eine Erfindung des Drehbuches. Der Film basiert auf realen Geschehnissen, ist aber kein Dokumentarfilm.

Er hat aber ein starkes dokumentarisches Feeling, auch mit den Einblendungen bei den Ringkämpfen selber.

Es gab verschiedene Ereignisse, die uns inspirierten: ein Boxer, der den Iran verließ, eine Fechterin, die eine Silbermedaille gewonnen hatte und ein Aushängeschild für den Iran war, beschloss, mit ihrem Trainer und Ehemann nicht zurückzukehren. 

Für mich war die von Zar verkörperte Figur der Trainerin noch interessanter als die Judoka – weil sie einige Zeit brauchte, um die richtige Entscheidung zu treffen. Sie hat zuhause ebenfalls eine Familie, mit der man sie unter Druck setzt.

Das ist auch eine Generationenfrage, die jüngere Generation ist rebellischer, sie sagen: »Wir haben jetzt genug!«. Die ältere Generation, zu der die Trainerin Maryam gehört, ist mit anderen Werten aufgewachsen. Sie haben immer im Kopf: »Ich verrate jetzt mein Land.« Sie haben recht, sie haben mehr zu verlieren.

Wie sind Sie zum Stil des Films gekommen: er ist in Schwarzweiß gedreht und dazu im klassischen 4:3-Format.

Das Schwarzweiß entspringt der Welt, aus der die Frauen kommen: Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß, mit nichts dazwischen. Außerdem wollten wir dem Film etwas Zeitloses geben, etwas Abstrahierendes statt Konkretes. Das Format erwächst aus der Sportart selber: der Zuschauer ist nah an den Figuren ran, sozusagen mit ihnen auf der Matte – und zudem vermittelt es eine gewisse Klaustrophobie.

Die sportlichen Gegner, gegen die Leila antritt, werden von echten Judoka verkörpert, haben Sie erwähnt. Die Hauptdarstellerin allerdings ist Schauspielerin. Wie haben Sie sie auf dasselbe Level gebracht?

Arienne Mandi, die Darstellerin der Leila, ist eine Boxerin, sie hat fünf Monate lang mit einem Judoka-Coach in Los Angeles trainiert. In Georgien hat dann der Coach der Nationalmannschaft die Kämpfe orchestriert, gemeinsam mit dem Kameramann.

Gab es andere Spiel- oder Dokumentarfilme über diesen Sport, die Ihnen bei der Vorbereitung halfen?

Nur einen kurzen Schwarzweiß-Dokumentarfilm über einen amerikanischen Judoka in Japan. Die Inspiration kam eher von Filmen wie »Wie ein wilder Stier« und »La Haine« und ihrer rohen Energie.

Haben Sie die Kämpfe mit mehreren Kameras gefilmt?

Nein, nur mit einer einzigen – den ganzen Kampf einmal durch und dann ein zweites Mal aus einer anderen Perspektive. Ich bin immer wieder gefragt worden: warum Judo? Für mich ist das ein Sport, wo man dem Gegner einen großen Respekt bezeugt, das kommt aus der japanischen Tradition, wo man sich voreinander verbeugt. Der Gegner ist nicht dein Feind, sondern nur ein sportlicher Gegner. 

Die einzelnen Runden haben ein zeitliches Limit von wenigen Minuten, können aber auch schon nach Sekunden enden. Das ist eine Herausforderung für die Identifikation des Zuschauers...

Der Zuschauer befindet sich in derselben Situation wie die Protagonistin: ein Ort, eine Nacht, eine Entscheidung. Es geht nicht länger nur darum, diesen Kampf zu gewinnen.

Dieses Projekt haben Sie selber entwickelt. Wie war das bei »Golda«, Ihrem vorangegangenen Film, der erst kürzlich in Deutschland seinen Kinostart hatte..

Das war ein 90-Millionen-Dollar-Projekt von Amazon, geplant als der »Saving Private Ryan« von Yom Kippur, ein Film mit zahlreichen Explosionen und Schlachten. Dann kam die Pandemie, wir verloren all unser Budget und Amazon sagte »Tschüss«. Ich meinte zu den Produzenten: ich bin bereit, benutzt meinen Namen, um Geld aufzutreiben. Am Ende hatten wir 14 Millionen Dollar und beschlossen, den Krieg auf den »War Room« zu reduzieren, ihn nicht über Bilder, sondern über den Ton zu vermitteln. Francis Ford Coppolas »Der Dialog« war dabei ebenso eine Inspiration wie der deutsche Film »Der Untergang«.

Ihr nächster Film wird auch wieder ein klaustrophobisches Moment enthalten?

Nicht unbedingt. Darin werde ich die Geschichte meiner Großmutter erzählen, die in den achtziger Jahren einem Kult verfiel, der von einer Frau angeführt wurde. Eine deutschsprachige Schauspielerin wird dabei übrigens eine zentrale Rolle spielen.

Sie leben seit langen in Los Angeles. Bekommen Sie manchmal auch Angebote aus Israel?

Ja, aber im jetzigen Klima möchte ich da nicht arbeiten. Wenn es einen Regierungswechsel gibt und vernünftigere Menschen das Sagen haben, würde ich mich dort wohler fühlen. Bis dahin drehe ich meine Filme in den USA oder in Europa.

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