30. Filmfest Oldenburg
»Willie and Me« (2023)
Das Filmfest Oldenburg hat sich in den letzten Jahren zu einem hoch angesehenen Treffpunkt für die internationale Independentfilm-Szene entwickelt. Das belegen auch die vielen Gäste, die dieses Jahr zum wiederholten Mal anwesend waren
Am Anfang von Isild Le Bescos »Confinés« erklingt »Comin' Back to Me«, ein ungewöhnlich sanfter Song der Westcoast-Rockband Jefferson Airplane. Sein Titel wäre ein gutes Motto für das diesjährige Filmfest Oldenburg gewesen, traf er doch auf mehrere FilmemacherInnen zu, die in der 30. Ausgabe vertreten waren. Isild Le Besco, hier vor vielen Jahren als Darstellerin zu erleben, widmete das Festival einen Tribute mit fünf Regiearbeiten, die um das Thema Familie kreisen: von drei Kindern, die allein die Großstadt erkunden (Demi-Tarif, 2004), über drei junge Frauen, die sich in einer heruntergekommenen Wohnung gegenseitig terrorisieren (Bas-Fonds, 2010), bis hin zur Familie, die im Pandemie-Lockdown unter der zunehmenden Gewalt des Vaters leidet (Confinés, 2023). Isild Le Besco war anwesend, wie auch – nicht zum ersten Mal – die New Yorker Produzentin Jen Gatien, der der zweite Tribute gewidmet war. Fünf von ihr produzierte Filme wurden im Laufe des Festivals gezeigt, etwa Abel Ferraras Dokumentarfilm »Chelsea on the Rocks« (2008) oder Hank Bedfords »Dixieland« (2015).
»Comin' back«: Eröffnet wurde das Festival mit der Weltpremiere von Willie and Me, dem Langfilmdebüt von Eva Hassmann, die vor vielen Jahren ihre ersten Schritte als Schauspielerin auf der Bühne des Oldenburger Staatstheaters unternahm, jenes Ortes, an dem dieser Film jetzt gezeigt wurde; beendet wurde das Festival am selben Ort mit einer weiteren Weltpremiere, Uppercut, dem US-Remake von »Leberhaken«, vor zwei Jahren der Eröffnungsfilm von Oldenburg, beide inszeniert von Torsten Ruether.
Das waren nicht die einzigen Kreise, die sich schlossen: Jon Jacobs, für seine darstellerische Leistung in Passenger C ausgezeichnet, erwähnte in seiner Dankesrede, dass er 1995 mit seinem Regiedebüt »The Girl with the Hungry Eyes« zum ersten Mal in Oldenburg zu Gast war, während der Hollywood-Indieproduzent Cassian Elwes, den Jacobs in »Passenger C« verkörpert, mit seinem eigenen Regiedebüt eine Episode aus seinem Leben verfilmt hat, die einige Auswirkungen auf seine Karriere hatte. Man könnte auch sagen, lauter hollywoodreife Enden für Independent-Filme.
»Passenger C« erzählt von einer schicksalhaften Begegnung, die Elwes (beteiligt an Filmen wie »Monster's Ball« und »Dallas Buyers Club«) auf einem Flug hatte, als ein psychisch kranker Mitreisender zu einer Gefahr für Passagiere und Besatzung zu werden schien. Sein Wagnis, sich für diesen Mann einzusetzen, veränderte das Leben beider Männer. Daraus hätte man eine Soap Opera machen können, doch die eindrucksvoll nüchternen Schwarz-Weiß-Bilder und die verknappte Erzählweise verhinderten das.
Eva Hassmann dagegen hat ihr Langfilmdebüt in den leuchtenden Farben des amerikanischen Kinos der fünfziger Jahre inszeniert. Sie selbst verkörpert die deutsche Hausfrau, die aus ihrer Ehe ausbricht, um sich einen Jugendtraum zu erfüllen, den Musiker Willie Nelson einmal live zu erleben – bei seinem angekündigten Abschiedskonzert. In den USA steht sie alsbald mittellos da, erreicht aber dank der Unterstützung eines Elvis-Imitators und eines Hotel-Concierge trotz aller Widrigkeiten ihr Ziel. Bewegend die Szenen mit dem immer noch aktiven Willie Nelson (dem Nachspann unterlegt ist noch ein Duett der beiden) und die mit Peter Bogdanovich, der als Concierge seinen letzten Auftritt vor der Kamera hatte und der Filmemacherin als Mentor beistand.
Auch Torsten Ruether zog es in die USA: In »Uppercut« ist der Sparringspartner von Luise Großmann nicht Hardy Krüger jr. wie in »Leberhaken«, sondern Ving Rhames, den man als resignierten Boxtrainer so noch nie gesehen hat. Seine ruhige Präsenz bringt die junge Boxerin, die von ihm trainiert werden will, mehr als einmal ins Schwitzen. Als Kammerspiel zweier verletzter Seelen funktioniert der Film ähnlich gut wie »Leberhaken«. Man darf gespannt sein auf die alternative Version, die Ruether ankündigte und in der die Geschichte der jungen Kämpferin in deren Zukunft fortgeschrieben wird.
Darüber hinaus gab es zu viele bemerkenswerte Filme, um sie hier alle würdigen zu können. Zu den Highlights gehörten etwa David Gregorys kurzweilige Doku »Enter the Clones of Bruce« über den Kampfkünstler und Schauspieler Bruce Lee oder das intensive Kammerspiel »Beautiful Friend«, Debüt von Truman Kewley und ausgezeichnet mit dem Preis für die beste Darstellerin (Alexandrea Meyer). Den Publikumspreis erhielt Ayşe Polats (am 4.1. in den Kinos startender) Film »Im toten Winkel«.
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