23. Nippon Connection Filmfestival
»The Zen Diary«
Nippon Connection präsentierte zum 23. Mal in vollen Kinos – neuer Publikumsrekord – einen Querschnitt durch das aktuelle japanische Kino. Und zeigt sich wieder erfrischend anders
Zenbuddhismus gehört zu Japan wie Pommes frites zu Belgien. Der Vergleich erscheint unangemessen, sind doch in Öl siedende Kartoffeln eine Trivialität. Die Zubereitung authentischer belgischer Fritten erfordert allerdings Meisterschaft. Und genau darum geht es in »The Zen Diary«, einer betörend schönen filmischen Meditation über das Kochen. Genauer gesagt, über die Reduktion des Kochens auf die Essenz.
Mit seiner Adaption einer Erzählung des namhaften japanischen Autors Tsutomu Mizukami setzte Yuji Nakae ein Ausrufezeichen bei der Frankfurter Nippon Connection. Die 23. Ausgabe des bedeutenden japanischen Filmfestivals fokussiert sich thematisch auf den Gegensatz zwischen entfremdetem Großstadtleben und beschaulichem Dasein auf dem Land. »The Zen Diary« zelebriert das in sich ruhende Leben des Schriftstellers Tsutomu, ehemals Novize eines Zenklosters, der nach dem Tod seiner Frau in einer abgeschiedenen Berghütte lebt. Auf Wunsch seiner Verlegerin soll der Meister seine Zenweisheiten zu Papier bringen. Er weiß, warum er zögert. Denn kaum hat er den Grundgedanken der Achtsamkeit in eine angemessene poetische Form gebracht – da brennt ihm prompt der Reis an.
Der subtile Humor dieses kleinen Malheurs erschließt sich erst nach und nach. Denn Kochen ist für Tsutomu der Inbegriff des Zen. Seine Küche ist perfekt angepasst an die jahreszeitlich abgestimmte Ernte von Beeren, Pilzen, Früchten und Wurzeln, in deren Anbau der Meister sein stilles Glück gefunden hat. Nachhaltiger Umgang mit der Umwelt? Nun ja. Zen löst sich von der nachhaltigen Beschwörung der Zukunft und blickt auf die Magie des Augenblicks hier und jetzt. Und im Gegensatz zur häufig anzutreffenden Lustfeindlichkeit des westlichen Nachhaltigkeitsgedankens ist »The Zen Diary« eine cineastische Feier kulinarischer Sinnlichkeit. Meisterwerken wie »Tampopo«, »Eat Drink Man Woman« oder »Babettes Fest« steht Yuji Nakaes atemberaubend schöner Film in nichts nach.
Der Unterschied zwischen dieser meditativen Hommage an bodenständiges Landleben und dem nervösen Großstadtthriller Baby Assassins könnte kaum größer sein. Hugo Sakamotos humorvoll überspitzter Genremix über zwei Auftragsmörderinnen war so erfolgreich, dass mit »Baby Assassins 2« Babies gleich das Sequel folgte. In dieser Variante des Yakuza-Films agieren zwei junge Mädchen im Minirock als Killermaschinen. Um weibliches Empowerment geht es dabei weniger. »Baby Assassins« ironisiert japanische Männerfantasien, die das popkulturelle Phänomen der Tokyo Idols hervorbrachten. Junge Frauen im Schulmädchenoutfit agieren auf der Bühne als keusche Go-go-Girls. Ältere Männer jubeln ekstatisch. Weil körperliche Berührungen in der japanischen Kultur immer noch tabuisiert sind, bekommt das ritualisierte Händeschütteln mit den Idols traditionell eine sexuelle Bedeutung.
Der rasant choreographierte Yakuza-Thriller transportiert daher eine codierte Fetischfantasie. Ein wenig seltsam ist das schon. Dennoch ist »Baby Assassins« ebenso wie »The Zen Diary« unverkennbar japanisch. Während westliches Kino nicht selten von Zynismus durchdrungen ist, bewahren die Filme, die Nippon Connection präsentiert, eine gewisse Unschuld. Ob es um einen schwulen Modedesigner geht, der zwei Schicksalsschläge hinnehmen muss (Egoist) oder um zwei junge Männer, die Mitte des 19. Jahrhunderts Latrinen ausleeren (Okiku and the World): Japanische Filme faszinieren durch ihre verspielte Unbekümmertheit.
Diese Unschuld zeigt sich auch in Masayuki Suzukis Yudo. Das Feelgoodmovie über einen jungen Mann, der das ländliche Badehaus seines verstorbenen Vaters abwickeln will, wurde mit dem Nippon Cinema Award ausgezeichnet. Im Gegensatz zur politischen Korrektheit des westlichen Kinos hält sich der japanische Film mit moralisierender Botschaft höflich zurück. Ein Paar, das mit seiner gescheiterten Ehe und mit der Rehabilitierung der Mörderin hadert, die seine 17-jährige Tochter vor Jahren tötete? Klingt unspektakulär. Doch der Zugang, den Anshul Chauhan in »December« findet, ist geprägt von einem tiefen Respekt gegenüber den Charakteren, der fast alle Filme des Festivals auszeichnet. Und so durchweht das Nippon-Kino auf je unterschiedliche Weise immer auch ein Hauch von Zen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns