07/2010

In diesem Heft

Filmkritik

Zehn Jahre Überleben in New York. Stonewall, Warhol, Crack, Aids, Giuliani, Bush, 9/11, Obama, Wirtschaftskrise. Ein lebensnaher, manchmal wehmütiger, manchmal vorsichtig hoffnungsvoller Essay von Rosa von Praunheim über die Stadt und den Zustand New York
Mit luftigen Wortspielen, Zaubertricks und Verwandlungskünsten, mit Illusion und Spielerei tritt eine bunt zusammengewürfelte Truppe skurriler Außenseiter gegen die Todesmaschinen der Waffenhändler an. Jean-Pierre Jeunet überzieht seinen Lieblingsschauplatz Paris ein weiteres Mal mit dem nostalgisch poetischen Zauber vergangener Zeiten und seiner ganz persönlichen Fantasie
Die Einsamkeit des Raumfahrers: Auf einer Mondstation kommen ein Minentechniker und sein Klon einer Verschwörung auf die Spur. »Moon« ist ein sympathischer kleiner Science-Fiction-Film, der statt auf große Effekte auf abwegigen Humor und Melancholie setzt
Vier Personen suchen nach der Vergangenheit: Auf einer eingeschneiten Berghütte treffen sich Vater und Sohn und ihre jeweiligen Freundinnen. Lang zurückliegende Ereignisse stehen immer noch zwischen ihnen. Florian Eichinger gelang mit seinem Debüt »Bergfest« ein psychologisches Kammerspiel um eine vorbelastete Vater-Sohn-Beziehung
Das Leben als Laufsteg, in einer quälend langen Modenschau von 146 Minuten: Bei ihrer Rückkehr auf die Leinwand laboriert das bekannte Frauenquartett in »Sex and the City 2« mit schalen Pseudoproblemen, faden Wortspielen und scheußlichen Modekreationen
Etwas zu angestrengt gibt Tom Cruise in »Knight and Day« den lässigen Top-Spion, der in jeder halsbrecherischen Verfolgungsjagd eine verdammt gute Figur macht. Energisches Unterhaltungskino von James Mangold, temporeich inszeniert und logistisch eindrucksvoll. Aber nicht sehr logisch
Der 12-jährige Afroamerikaner Dre Parker zieht mit seiner Mutter von Detroit nach Peking und muss dort Kung-Fu lernen, um sich in seiner neuen Umgebung zu behaupten. »Karate Kid« ist ein pädagogisch angehauchtes Kung-Fu-Märchen mit überdurchschnittlich harten Kämpfen
Eine depressive Mittelstandsfrau bezieht weit vor ihrer Zeit eine Seniorenresidenz und stößt zwischen Siechtum und Gebrechlichkeit auf die Bruchstellen ihrer eigenen Kindheit. Rebecca Miller, Tochter von Arthur Miller, hat mit »Pippa Lee« ihren eigenen Roman verfilmt
Ein Dokumentarfilm, der wie ein Spielfilm funktioniert: Ausschließlich aus zeitgenössischem Material komponiert, gelingt Tom DiCillos Film »The Doors – When You're Strange« eine fundierte Annäherung an die Geschichte der Doors und zugleich ein hypnotischer Trip ins Innenleben ihrer Musik
Ekstase und Analyse: Mahler und Freud über Liebe, Sex und Tod – und über ein unergründliches weibliches Wesen namens Alma. Percy Adlon und Sohn Felix liefern ein vor Ironie und Sinnlichkeit überbordendes, manchmal auch sehr berührendes Künstlermelodram über die Wurzeln der Moderne: »Mahler auf der Couch«
Die Dreiecksgeschichte mit der Behäbigkeit zu inszenieren, mit der man sonst Schnitzler und Zweig fürs Fernsehen adaptiert, ist ein naheliegender, aber wenig fruchtbarer Impuls. Der Taumel der Leidenschaft bleibt wohltemperiert, denn Richard Eyres Film »Der Andere« weiß ein wenig zu genau, worauf er hinauswill, und wächst selten über das holprige Drehbuch hinaus
Die aus dem Iran stammende Video- und Fotokünstlerin Shirin Neshat lässt in ihrem Kinodebüt »Women without Men« vier Frauen im Teheran des Jahres 1953 auf je ganz eigene Weise an den Verhältnissen scheitern und in Schönheit untergehen
»Men on the Bridge« ist semidokumentarisches Kino vom Feinsten: Männerleben im Großstadtdschungel von Istanbul, inszeniert von einer jungen Frau, die sie mit kritischer Sympathie begleitet
»Please Give« ist eine besinnliche Komödie über eine Frau, die alles will und das meiste davon auch bekommt. In der Ehe, im Beruf, in der Wohnung und auf der Straße lauern die Fallstricke der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit. Doch in einer Zeit jenseits von Soziologie und Geschlechterkampf fällt die Orientierung nicht so leicht
Existenzen so klamm wie die griechische Staatskasse, Humor so trocken wie ein Athener Sommer. Filippos Tsitos lässt in seiner sehr sympathischen, lakonischen Komödie »Kleine Wunder in Athen« einen glücklosen Kioskbesitzer eine Identitätskrise durchleben. Angenehme Nebenwirkung: die Demontage patriotischer Phrasen
In ferner Zukunft spielt ein alter Mann in Gedanken die theoretischen Variationen seines Lebens durch: Handwerklich und schauspielerisch beeindruckend, enttäuscht Jaco Van Dormael, der sich schamlos bei Kieslowski, Kubrick, Malick und vielen anderen bedient, durch intellektuelle Unoriginalität
Mit dem beklemmenden Gefühl der Ausweglosigkeit wird der Zuschauer ebenso wie der Held in Brillante Mendozas sozialrealistischem Drama »Kinatay« Zeuge eines grausamen Frauenmordes, der als Teil eines korrupten Machtmechanismus verständlich gemacht wird
Die Familienhundekomödie mit sprechenden Tieren macht eine dänische Dogge zum Abbild eines Teenagers, der Ärger mit seinem menschlichen »Vater« bekommt, als er sich seinen Platz inmitten konkurrierender Cliquen erobern muss. »Marmaduke« ist die ideenlose Adaption einer traditionsreichen US-Cartoonserie
Wer bin ich, und wenn ja, wie komme ich vor Sonnenaufgang wieder zu meiner nervtötenden Rolle als Papa? Im rasanten 3-D-Finale der »Shrek«-Serie erlebt das gutherzige Monster seine Zähmung mit viel parodistischem Witz noch einmal neu
Riad Sattouf rückt mit unnachgiebiger Konsequenz die übermächtigen erotischen Sehnsüchte männlicher Frühpubertät in den Mittelpunkt seines vielversprechenden Debüts »Jungs bleiben Jungs« und liefert damit ein notwendiges Gegengift gegen die Definitionsmacht amerikanischer Highschool-Komödien
Die wahrscheinlich traurigste Komödie der Saison: In einer Welt, in der alle nur die Wahrheit sagen können, wird ein Mann, der sich zu lügen traut, zum Idol. Keiner kann so sympathisch den Unsympathen geben wie Ricky Gervais, und trotzdem gibt es in »Lügen macht erfinderisch« kaum etwas zu lachen
Eine Großmutter trauert um ihren ermordeten Enkel, eine andere setzt alles daran, dass ihr Enkel für dieses Verbrechen nicht ins Gefängnis kommt: Ähnlich wie in Kinatay zeigt Brillante Mendoza in »Lola« die Stadt Manila als einen Hort der Gewalt, in dem allein das Geld zählt. Ohne jedes Pathos erzählt der philippinische Regisseur von der Würde des Überlebens
Zwei Brüder sollen die väterliche Nudelfabrik übernehmen. Als der eine sich mit einem Coming-out aus der Verantwortung befreien will, kommt ihm der andere zuvor. Für den Übergangenen verdoppelt sich unversehens der Druck, »normal« zu sein. Ferzan Özpeteks Komödie »Männer al dente« hält unter der Oberfläche biederer Inszenierung augenzwinkernd zu den unaufgeräumten Gefühlen und ihren ambivalenten Konsequenzen
Die Reise eines kundigen Fotoreporters nach Benin, ins Ursprungsland des Voodookultes. »Voodoo« ist eine Gratwanderung zwischen geduldiger ethnologischer Spurensuche und Faszination für die spirituelle Energie dieser lebendigen Volksreligion, leider ohne Blick für die historischen Kontexte des Sklavenhandels

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