Kritik zu Wild Rose
Von Glasgow aus gesehen mag die Hauptstadt des Country, Nashville, weit weg sein, für die junge schottische Sängerin Rose-Lynn ist es trotzdem ihr eigentliches Zuhause. Tom Harpers Film erzählt von den alltagsrealen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung eines Traums
Drei Akkorde und die Wahrheit – so beschrieb Countrylegende Harlan Howard den Musikstil, der in Nashville, Tennessee, sein Epizentrum haben mag, aber Fans und Musiker auf der ganzen Welt inspiriert. Eine fanatische Angehörige dieser Countrygemeinde ist die Sängerin Rose-Lynn Harlan (Jessie Buckley), die sich trotz ihres sprechenden Nachnamens vom glamourösen Nashville gefühlt kaum weiter entfernt befinden könnte: Als man der Protagonistin zu Beginn von »Wild Rose« zum ersten Mal begegnet, wird sie gerade aus einem Gefängnis in Glasgow entlassen. Nicht nur assoziiert man mit Schottland vielleicht eher Dudelsack als Steel-Gitarre und Banjo, speziell Glasgow scheint zudem mit seiner rauen »Working Class«-Tradition weit abseits des Country-Lifestyles zu liegen. Genau darum will Rose-Lynn endlich raus aus ihrer grauen Heimatstadt und ihr Glück in Nashville versuchen.
Wenn sich europäische Filme traditionell amerikanischer Musik widmen, geht es oft um Sehnsucht und Eskapismus: In Felix van Groenigens »The Broken Circle« klammerte sich ein Musikerpaar in einer schrecklichen Krise verzweifelt an ihre gemeinsame Liebe zum Country; in »Schulze Gets The Blues« floh ein Bergarbeiter im Ruhestand nach seiner Entdeckung der Cajun-Musik aus der sachsen-anhaltinischen Provinz nach Louisiana. Auch in »Wild Rose«, so wird bald deutlich, geht es um eine Art Flucht: Rose-Lynn ist gerade 23 Jahre alt, aber bereits alleinerziehende Mutter von zwei Kindern; die Beziehung zu ihren Sprösslingen ist schwierig – der Vater hat sich abgesetzt, während ihres zwölfmonatigen Gefängnisaufenthalts für (angeblich unbewussten) Drogenschmuggel hat sich Oma Marion (Julie Walters) um die Kinder gekümmert. Dass nun ein spießiges Leben als Mutter und Haushälterin beginnen soll, kann die rebellische Rose-Lynn nicht akzeptieren. Sie will nur weg, nach Nashville – bei ihrer Familie stößt sie damit allerdings auf Unverständnis.
»Wild Rose«, ein langjähriges Herzensprojekt der Drehbuchautorin und Countryliebhaberin Nicole Taylor, begeistert von der ersten Minute an, und das liegt ganz besonders an Hauptdarstellerin Jessie Buckley. Nicht nur singt Buckley ganz hervorragend – der für den Film komponierte Song »Glasgow« ist ein bitter-süßer Ohrwurm – ihr gelingt der seltene Geniestreich, auch in den musikalischen Momenten voll und ganz ihre Figur zu verkörpern. So ist es vor allem Buckley und ihrem bezaubernd schiefen Lächeln zu verdanken, dass man Rose-Lynn bei all ihren besseren und schlechteren Entscheidungen bereitwillig folgt.
Einige Details des Skripts wirken nämlich beizeiten ein wenig gezwungen oder möglicherweise gar zugunsten eines breiteren kommerziellen Anspruchs glatt poliert: Unpassend scheint etwa, dass der raubeinige Wirt des Countryclubs, in dem Rose-Lynn vor ihrer Abwesenheit regelmäßig auftrat, ihr wegen ihrer Vorstrafe weitere Auftritte untersagt; und auch die Beziehung zwischen Rose-Lynn und Susannah (Sophie Okonedo), für die die Hobbysängerin als Haushälterin arbeitet, fühlt sich konstruiert an. Schließlich sorgt besonders das Ende für Stirnrunzeln, das, obschon es kaum den Wünschen der toughen Rose-Lynn zu entsprechen scheint, als lupenreines Happy End verkauft wird.
Nichtsdestotrotz begeistert »Wild Rose« sowohl als Musikfilm mit großartigem Soundtrack und als fein beobachteter Familienfilm in bester britischer »Kitchen Sink«-Tradition. Zudem argumentiert der Film überzeugend dafür, dass Country eben mehr ist als nur ein US-amerikanischer Musikstil. Erstens finden sich die musikalischen Ursprünge des amerikanischen Folk und Country gerade in keltischer Musik und damit eben auch in Schottland; zweitens, dem Glitz und Glamour großer Countrystars zum Trotz, entspringt das Lebensgefühl des Country genau jener drängenden Sehnsucht, die Rose-Lynn im tristen Glasgow in sich spürt. Drei Akkorde und die Wahrheit – auch für Nicht-Countryfans macht »Wild Rose« die Anziehungskraft dieses Credos deutlich spürbar.
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