Kritik zu Verabredung mit einem Dichter
Frank Wierke zeichnet in seiner zurückhaltend inszenierten Langzeitbeobachtung ein bewegendes und zugleich melancholisches Porträt des Dichters und Verlegers Michael Krüger
Er ist ein Buchmensch schlechthin. Bis unter die Decke sind die Regale in Michael Krügers Büro angefüllt mit Gedrucktem. Krüger war langjähriger Lektor und Geschäftsführer bei Hanser, einem der wenigen deutschsprachigen Literaturverlage, die nicht zu einem großen Konzern gehören. Über einen Zeitraum von fast zehn Jahren hinweg hat der Produzent und Regisseur Frank Wierke ihn immer wieder besucht. Das erste Mal vor die Kamera trat er im Dezember 2013, kurz vor seiner Pensionierung bei Hanser.
Ein dankbarerer Interviewpartner als Krüger ist eigentlich kaum denkbar. Nach 45 Jahren im Verlag kennt er zahlreiche Nobelpreisträger und Prominente aus der Literaturszene. Anekdoten über Eco und Enzensberger, mit denen er Derrick-Krimis schaute, gehören eigentlich zu seinem Standardrepertoire. Nichts davon taucht in diesem Film auf. Zurückhaltend und melancholisch spricht Krüger hier über seine Kindheit und seinen Großvater, der in der DDR als Bauer enteignet wurde. Er erzählt davon, dass sein Körper nach jahrzehntelanger Büroarbeit nicht mehr in der Lage sei, eine Wiese mit der Sense zu mähen. Er spricht langsam, als höre er immer wieder in sich hinein. Unspektakulär und unmanieriert klingt das. Man spürt, wie dieser Mann, dessen zerfurchtes Gesicht oft in Großaufnahme gezeigt wird, sich nicht mehr so wichtig nimmt. Und deshalb folgt man ihm gerne. Denn der Film nimmt sich selbst höflich zurück und überlässt dem Dichter das Wort.
Dabei blickt Krüger zurück auf ein erfülltes Berufsleben, in dem er täglich vierzehn Stunden arbeitete. Erläutert der Autor seinen prall gefüllten Terminkalender, der ihn kreuz und quer durch Europa führt, so wird jene atemlose Kreativität spürbar, die ihn »300 bis 400 Bücher pro Jahr« verschlingen lässt. Wenige Szenen nur zeigen den Schriftsteller bei Lesungen. Die meiste Zeit über setzt Krüger zu leisen Überlegungen an, oft über Bäume.
Diese eigentümliche Mischung aus freien Assoziationen und meditativer Rückschau verdichtet sich zu melancholischen Monologen in Moll. »Man ist nicht Herr im eigenen Haus. Man war es nie und ist es im Alter immer weniger.« Mit dieser Freud-Paraphrase spielt der Lyriker auf seine Leukämie-Erkrankung an, die 2020 diagnostiziert wurde.
Wie überhaupt ein Gedicht entsteht, fragt der ab und zu sich zu Wort meldende Filmemacher. Wenn man das wüsste, erklärt Krüger, dann würden keine Gedichte mehr entstehen. Aber gerade in diesem Moment entsteht, gewissermaßen spontan, ein Gedicht – und zwar im Wechselspiel mit der filmischen Beobachtung. Die Poesie eines Gedichts, so Krüger, trägt den Leser durch eine Wand.
Wer diesen Sprung durch die Mauer mitmacht, dem eröffnet sich ein lyrischer Raum aus wohlbedachten Worten, leisen Sprachbildern und Überlegungen über die letzten Dinge. Der Film, der die Rückbesinnungen des Dichters nur gelegentlich mit musikalisch untermalten Naturbildern unterbricht, dokumentiert den leisen Abschied eines Menschen, der den Schreibtisch des Lebens ausräumt.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns