Kritik zu Unsere Ozeane

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Nach Mikrokosmos und Nomaden der Lüfte haben die beiden französischen Dokumentarfilmer Jacques Perrin und Jacques Cluzaud sich wieder ein neues Element vorgenommen – und erzeugen dabei ein wahrhaft ozeanisches Gefühl

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Natur- und Unterwasserfilme funktionieren meist gleich: Froschmänner tauchen mit der Kamera in die Tiefen tropischer Gewässer und filmen die exotische Pracht des geheimnisvollen submarinen Lebens. Dabei übernehmen die Filmemacher oft die Rolle des biblischen Adam: Jedes Tier, das an der Linse vorüberschwimmt, wird mit Namen benannt. Durch diese Form der Katalogisierung, die mit einer leutseligen Kommentierung einhergeht, wird die Fremdartigkeit des Beobachteten kompensiert. Dieses anachronistische Verfahren wird noch immer fleißig angewandt. In seiner oscarprämierten Dokumentation »Die Reise der Pinguine« hat Luc Jacquet die Kaiserpinguine mittels betulichen Kommentars so anrührend vermenschlicht, dass bigotte Kreationisten in den USA die Tiere gar als bibelkonforme Vorbilder für monogames Sexualverhalten missverstanden.

Anders arbeiten Jacquets französische Kollegen Jacques Perrin und Jacques Cluzaud. Fische, Säuger und sonstige Meerestiere werden hier nicht im Grzimek-Tonfall kommentiert nach dem Motto: Die giftige Muräne geht auf Beutezug. Dank einer schwerlich zu übertreffenden Brillanz an Unterwasseraufnahmen gelingt diesem Dokumentarfilm eine beklemmende, zum Teil witzige Begegnung mit einer »fremden und seltsamen Welt«.

Ohne Ablenkung durch einschlägige Offtexte wird der Zuschauer mit dem unerschöpflichen Formen- und Farbenreichtum der Meerestiere unmittelbar konfrontiert. Das ist, man kann es nicht anders formulieren, Kino pur. Immer wieder ertappt der Betrachter sich dabei, wie er die bizarren Wesen mit bekannten Mustern zu assoziieren versucht: Ähnelt diese fluoreszierende Qualle nicht einem abstrakten Gemälde von Kandinsky? Stammt jener teigförmig geknetete Tiefseefisch nicht aus dem Formenarsenal eines Salvador Dalí? Und wie nur funktioniert diese magische Synchronizität der gigantischen Heringsschwärme, die sich wie ein Körper bewegen, der in unzählige Fragmente zersplittert ist?

Neben der vierjährigen Produktionszeit an 54 Drehorten verdient vor allem die sorgfältige Tonspur Erwähnung, die den beobachteten Tieren gewissermaßen ihre eigene »Stimme« lässt. Das amüsante Gefühl, wenn eine Robbe uns anschreit, weicht jäher Beklemmung, wenn der Krebs mit seinen Scheren laut knackend den Panzer des Beutetieres öffnet. »Unsere Ozeane« ist ein Film, der wirklich nur auf der großen Leinwand wirkt.

Das pralle Leben der Meere birgt leider doch einen kleinen Wermutstropfen: Koregisseur Perrin tritt als weißhaariger Allmächtiger in der Google-Earth-Perspektive auf, um seinem fasziniert schauenden Enkel – stellvertretend für den Zuschauer – die Verantwortung für seine Schöpfung zu übertragen. Seine moralischen Mahnungen über Umweltverschmutzung und Ausrottung von Arten verlieren sich jedoch in der Weite des Ozeans wie die aufsteigenden Luftblasen der wenigen Taucher, die zu sehen sind.

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