Kritik zu Übriggebliebene ausgereifte Haltungen

© Salzgeber

2007
Original-Titel: 
Übriggebliebene ausgereifte Haltungen
Filmstart in Deutschland: 
06.11.2008
Sch: 
L: 
89 Min
FSK: 
6

Maximale Komplexität bei maximaler Reichweite: Peter Otts Dokumentarfilm zeichnet die mehr als zwanzigjährige Geschichte der linken Funpunk-Band »Die Goldenen Zitronen« nach. Mit Diedrich Diederichsen und Clara Drechsler in weiteren Rollen

Bewertung: 4
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»Immer diese Widersprüche, ich bin mindestens ein Schurkenstaat und zwei Schuldmaschinen und eine Telefonzelle voller H&M people. Die schönste Zeit meines Lebens war leider ein Filmriss«, sangen »Die Goldenen Zitronen« 2001.

Die Geschichte der Band ist eine Geschichte der Widersprüche. Wer 1984 als linksradikale Funpunk-Band aus der Hamburger Autonomenszene anfängt und 2008 die überzeugendste politische Band weit und breit ist, der muss Widersprüche be- und verarbeitet haben. Von dieser Arbeit und dem Spaß, den sie – manchmal – bringt, erzählt Peter Otts Dokumentarfilm »Übriggebliebene ausgereifte Haltungen«. Keine distanzlose Rockumentary von Fans für Fans sollte es werden. Ob das gelungen ist, darüber kann man sich streiten. Denn die Arbeit an Widersprüchen, die Reflexion der eigenen ästhetischen und politischen Praxis, das ist ja genau das, was Zitronen-Fans mögen an ihrer Band, so wie U2-Fans ihre Band für Bonos Missionarsstellung lieben.

Folgerichtig wird das Loblied auf die Zitronen nicht von verdienten Rolling-Stone-Redakteuren gesungen, sondern von Daniel Richter, dem Malerfürsten, der mit seinem Kunstgeld das Hamburger Buback-Label am Leben hält, von Diedrich Diederichsen, der über die Zitronen Sachen sagt, die selbst deren Mitgründer Ted Gaier nicht versteht, und von Clara Drechsler. Bei einem ihrer seltenen öffentlichen Auftritte findet die SPEX-Mitgründerin Worte für die Strategie(n) der Zitronen. »Punk im Punk« waren sie anfangs, Funpunk ein Unterlaufen verfestigter Codes im politmoralisch restriktiven Autonomenumfeld, damals, als es noch politisch korrekt war, politisch unkorrekt zu sein. Sie wollten immer maximale Komplexität bei gleichzeitig maximaler Reichweite, sagt Drechsler und stößt auf den Hauptwiderspruch der Goldenen Zitronen. Mit albernem Funpunk bekämpfen sie den puritanischen An-der-Welt-leiden-und darüber-enthaltsam-und-bitter-werden-Gestus der Hardcoreszene – und dringen damit in ganz andere Szenen vor.

In der alten BRD waren die Zitronen so groß wie die Toten Hosen. Anders als Campinos Combo fanden sie einen Ausweg aus der Funpunk & Grölrock-Sackgasse. Dazu war es nötig, sich von falschen Freunden zu trennen. Also mussten die Schnauzbärte brüskiert werden. Auf den Schnauzbart-Begriff bringen die Zitronen die Ballermann-Bundeswehr-Fraktion ihres Publikums, die dem Funpunk den reinen Fun abringt und den Kontext überhört. Aus diesem Stahlbad will die Band raus, also gibt es Antischnauzbartsongs. Der Film illustriert die Malaise fast schon überkonkret und hart an der Grenze zur Denunziation, wenn ein Bilderbuchschnauzbart beim Mitgrölen zum Abschuss freigegeben wird. Der war's!

Nach dem Fall der Mauer erleben die Zitronen ihr ganz eigenes Hoyerswerda, auch das zeigt der Film. Im neuen großen Deutschland mit seinem rassistisch aufgeladenen Nationalismus brauchen sie keine Schnauzbartsongs, um falsche Freunde abzuwimmeln. Neue Mittel und Wege finden sie mit Degenhardt & Dylan, HipHop & Electro, Brecht & No Wave . . . immer diese Widersprüche.

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