Kritik zu There Will Be Blood
Mit seiner Adaption eines Romans von Upton Sinclair kehrt Paul Thomas Anderson in die Gründerzeit des Kapitalismus zurück. Und Daniel Day-Lewis räumt in der Rolle eines Ölmagnaten Filmpreise ab
Irgendwo im Innern des amerikanischen Traums von Fortschritt, Überfluss und der Verwirklichung individuellen Glücks, irgendwo zwischen Dagobert Ducks erstem selbst verdientem Kreuzer und der Garagenfirma von Bill Gates liegt ein wüstes, gefährliches Land. Paul Thomas Andersons neuer Film führt gleich zu Beginn dorthin: Er öffnet den Blick auf eine Hügelkette in einer trockenen Gegend und unterlegt das Panorama mit einem giftigen musikalischen Motiv (der Score stammt von Radioheads Jonny Greenwood), das nicht aufhören wird, an den Nerven des Zuschauers zu zerren. In dieser Ödnis, in einem selbst gegrabenen Schacht, hebt Daniel Plainview, der Held der Geschichte, ein Vermögen, das in die industrielle Zukunft führt: Öl, das »schwarze Blut der Erde«. Die erste erfolgreiche Bohrung markiert eine doppelte Zeugung: Sie stiftet ein Imperium und beschert dem unverheirateten Plainview einen Sohn, das verwaiste Baby eines verunglückten Arbeiters. Das sickernde, sprudelnde irgendwann auch explodierende Öl scheint dem Film aus allen Poren zu dringen; es legt sich fettig über die Bilder und das Gesicht des Hauptdarstellers Daniel Day-Lewis, es gibt den Kamerabewegungen, gerne Fahrten, ihren fließenden Rhythmus vor, es tropft in Form zerdehnter Vokale aus dem Singsang, in dem Mr. Plainview im Folgenden seine Verhandlungen abwickelt. Ähnlich wie dieser »oil man« hat P.T. Anderson nach stilistisch mäandernden Filmen wie »Boogie Nights« und »Magnolia« hier seinen Stoff gefunden.
Und es ist ein großer Stoff, schon in der Vorlage, dem 1927 erschienenen Roman des sozialistischen Schriftstellers Upton Sinclair. »Oil!« ist eine New-Deal-Geschichte, die von den prinzipiellen Chancen des Fortschritts erzählt und von einem Unternehmer, einem unabhängigen Ölproduzenten, der versucht, alles richtig zu machen, der sich sozialpartnerschaftlich verhält – bis ihn die großen Konzerne vom Markt fegen. Es war eine Ära, in der mit der bürgerlichen Gesellschaft, dem Kapitalismus noch zu verhandeln war, in der die Technik noch Glamour hatte, es war die Zeit des »oil rush« nicht des »oil crash«. Im Film wirken die Abweichungen vom Roman auf den ersten Blick signifikanter als die Gemeinsamkeiten, aber tatsächlich hat Anderson die Grundkonstellation übernommen: Es geht um diesen merkwürdigen Widerspruch in den Anfängen und der Ideologie bürgerlichen Wirtschaftens – einerseits ist es auf die Bereicherung des Einzelnen angelegt, andererseits liegt in der schieren Dynamik seiner Produktion, seiner Erfindungen und Entdeckungen das Versprechen auf die Verbesserung der Lebensbedingungen aller. Daniel Plainview ist denn auch eine der dubiosesten Figuren, die uns das Kino in den letzten Jahren beschert hat – und der sehnige Daniel Day-Lewis, der wie ein Ausrufezeichen in der Landschaft steht, stattet den Charakter mit einer ungeheuren Kraft, im Guten wie im Bösen, aus.
Als Plainview einem großen Ölvorkommen in einer unfruchtbaren Region an der Pazifikküste auf die Spur kommt und die Gegend in Besitz nimmt, hat er zunächst die Vernunft auf seiner Seite. Es war an der Zeit, diesem Land und seinen Siedlern – die das Missing Link zwischen der Pioniergesellschaft in John Fords »The Searchers« und dem zeitgenössischen provinziellen Fundamentalismus bilden – die Errungenschaften der Moderne zu bringen: ein auskömmliches Leben, Bildung, vielleicht sogar den Achtstundentag. Aber der Zufall und das System zerren von allen Seiten an Plainviews Familienbetrieb. Ein junger Prediger aus der Gegend versucht, ihn zu manipulieren, ein Unfall auf der Bohrstelle bringt den Sohn um sein Gehör; und im Hintergrund lauert, wie bei Sinclair, stets »Big Oil«, das Konsortium der großen Ölfirmen. Als Plainview endlich in dem Herrenhaus wohnt, von dem er geträumt hat, lässt sich nicht mehr errechnen, was es gekostet hat. Es ist eines dieser düsteren Gebäude, in denen das klassische amerikanische Kino typischerweise den Selfmademan zu Grabe legt – man könnte an Orson Welles als Citizen Kane denken oder Rock Hudsons Ölbaron in »Giganten«. Und es spricht für den Regisseur, dass diese Assoziationen nicht prätentiös wirken. Vielleicht sollte man von einem 37-Jährigen nicht sagen, er habe einen reifen Film gemacht. Hier ist es aber mal angebracht.
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