Kritik zu Sing Street
Der irische Regisseur John Carney wendet mit einer Geschichte über eine Dubliner Schülerband in den 80ern den Blick in die eigene Jugend
Kaum ein anderes Land ist so gut darin, die Schmerzen der eigenen Geschichte in Musik zu verwandeln wie Irland. Hungersnöte und Auswanderungswellen haben in der irischen Folkmusik Balladen voller Sehnsucht und Melancholie hervorgebracht. Seine besten und erfolgreichsten Filme verdankt auch das irische Kino seiner engen Verbundenheit zur Musik, mit deren Hilfe die misslichsten Lebenssituationen auf nonchalante Weise transzendiert werden. Dazu gehört Alan Parkers Klassiker »The Commitments« (1991), in dem eine Proletarier-Band den Soul nach Dublin bringt, genauso wie John Carneys Independent-Hit »Once« (2006), wo sich zwei bettelarme Straßenmusikanten die Seele aus dem Leib singen und um die Liebe in widrigen Verhältnissen ringen. In seinem neuen Film »Sing Street« schließt Carney erneut an diese musikalische Filmtradition an und kehrt zurück in die Zeit seiner eigenen Jugend: ins Dublin des Jahres 1985.
Während die Eltern sich im Wohnzimmer streiten, liegt der 15-jährige Conor (Ferdia Walsh-Peelo) mit der Gitarre auf dem Bett und verwandelt die Flüche der Erziehungsberechtigten in Songtexte. Als Ergebnis innerfamiliärer Sparzwänge wird Conor auf eine weniger gebührenintensive katholische Schule geschickt, deren Direktor genauso wie die Schüler zu gewalttätigem Konfliktmanagement neigt. Einziger Lichtblick: Raphina (Lucy Boynton), die gegenüber dem Schulgebäude mondän und geheimnisvoll ihre Zigaretten raucht.
Das Mädchen, das angibt, Model zu sein, ist mindestens drei Nummern zu groß für Conor. Dennoch bekommt er ihre Telefonnummer, weil er sie für das Musikvideo seiner nicht existierenden Band engagiert. Die verliebte Lüge führt zu einem etwas überstürzten Gründungprozess, in dessen Verlauf sich die uncoolsten Außenseiter der Schule zusammentun. Fortan geht es in Conors Leben nur noch um Musik und um Raphina, die sich durchaus gerührt von seinem selbst gedichteten Liedgut zeigt.
Mit skurrilem Charme und trockenem irischem Humor beschwört »Sing Street« die Kraft der Musik in Zeiten pubertärer Ausweglosigkeit. Dabei ist der Film fest verankert im Rhythmus der 80er Jahre, in denen die Lust an der Melancholie und eine wenig zielgerichtete Lebensgestaltung zum Zeitgeist gehörten. Careys Blick auf die Ära seiner Jugend ist ebenso von nostalgischer Verklärung wie von liebevoller Selbstironie geprägt. Besonders komisch sind die Inszenierungen der eigenen Musikvideos, die die aufstrebende Nachwuchsband in den Hinterhöfen und an den Hafenpiers aufnimmt. Mitte der 80er steckte diese Kunstform noch in den Kinderschuhen, wie eingespielte Videos von Duran Duran eindrucksvoll belegen. »Die perfekte Mischung aus Musik und Visualität – welche Tyrannei könnte dagegen bestehen?«, schwärmt der ältere Bruder Brendan (Jack Reynor), der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt, aber mit Ratschlägen Conor stets zur Seite steht. Mit »Sing Street« ist Carey ein hemmungsloser und höchst effizienter »Crowd-Pleaser« gelungen. Sympathischer kann ein Film kaum sein.
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