Kritik zu Sing! Inge, sing!
Inge Brandenburg gehörte einmal zu den G rößen des europäischen Jazz – und starb 1999 völlig verarmt. Marc Boettcher zeichnet in dieser Doku das Porträt einer Frau, die an der Zeit und an sich selbst scheiterte
In diesem Film singt Inge Brandenburg einmal den Jazzklassiker: »On the Sunny Side of the Street«. Aber auf der sonnigen Seite des Lebens war Inge Brandenburg vielleicht nur für ein paar Jahre. Sie hat schon in frühester Jugend Verletzungen erlitten, in den dunklen Jahren der Nazizeit und der bleiernen Zeit der Adenauer-Ära. 1929 wurde sie in Leipzig geboren, ihre Eltern starben im KZ. Inge Brandenburg kam in ein Heim für schwer erziehbare Kinder, flüchtete Ende des Krieges in den amerikanischen Sektor, wurde vergewaltigt. In Augsburg kam sie bei einer Bäckersfamilie unter, lernte Klavierspielen. 1950, als in einer Annonce ein Tanzorchester eine gutaussehende Sängerin mit tiefer Stimme suchte, bewarb sie sich und tingelte fortan durch die Clubs. 1954 ging sie auf Tournee durch Schweden, eine erste Anerkennung ihres Könnens.
Sing! Inge, Sing! ist auch eine Spurensuche in der Subkultur der fünfziger Jahre, denn zum Mainstream gehörte Jazz nie. Die deutsche Jazzhauptstadt der Fünfziger war Frankfurt mit dem »Jazzkeller«, den es heute immer noch gibt. In Frankfurt hatte Brandenburg auch ihren Durchbruch, beim Jazzfestival 1958. Zwei Jahre später wurde sie beim Jazzfestival in Antibes zur besten Jazzsängerin Europas gekürt.
Aber dieser Höhenflug währte nicht lang. Sie bekam Probleme mit der Plattenfirma, die auch Schlager von ihr wollte; auf den Spagat, der bei Caterina Valente gelang, ließ sie sich nicht ein. Dass es aber nicht nur die Rahmenbedingungen waren, die ihre Kunst behinderten, sondern auch Alkoholprobleme und ein gewisser Jähzorn, darauf weist dieser Film deutlich hin. Nur eine einzige Jazz-Langspielplatte hat Inge Bandenburg geschafft, »It’s Alright With Me« und sich später als Schauspielerin auf dem Theater durchgeschlagen.
Sing! Inge, sing! folgt dem Gang dieses bewegten Lebens. Man merkt, dass Regisseur Marc Boettcher, der auf dieses Leben durch einen Sammler aufmerksam wurde, auch so etwas wie eine Rehabilitation versucht. Er wartet mit einer Überfülle an Material auf, liest aus den Aufzeichnungen der Sängerin vor, arbeitet mit Inserts und Split Screen und lässt Zeitzeugen wie den Kritiker Siegfried Schmidt- Joos, den Saxophonisten Emil Mangelsdorff, den Impresario Fritz Rau und die Sänger Joy Fleming, Udo Jürgens und Knut Kiesewetter zu Wort kommen.
Auch wenn einem dieses Mosaik eines Lebens manchmal etwas zu atemlos und unbedarft in Szene gesetzt vorkommt, so hat der Film doch zwei große Stärken. Zum einen entwickelt er im Nebenbei ein Stück bundesdeutscher Kulturgeschichte mit all ihren Zwängen. Und zum anderen zeigt er faszinierende Aufnahmen der Sängerin, die mit ihrer warmen Stimme vor allem langsame Stücke interpretiert. Am meisten faszinieren ihre Fernsehauftritte (in Schwarz-Weiß) mit den stilisierten Kulissen und überdeutlichen Schatten: kleine Clips, in denen man auch den Kunstwillen der frühen Jahre mit seiner Expressivität spürt.
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