Kritik zu Scarred Hearts – Vernarbte Herzen

© Real Fiction Filmverleih

2016
Original-Titel: 
Scarred Hearts – Vernarbte Herzen
Filmstart in Deutschland: 
09.02.2017
L: 
141 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der neue Film des rumänischen Regisseurs Radu Jude, der 2015 für »Aferim!« auf der Berlinale als Bester Regisseur ausgezeichnet wurde, ist eine Hommage an den zu Unrecht vergessenen Dichter Max Blecher

Bewertung: 2
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Vielleicht hilft es, wenn man Max ­Blecher kennt, jenen rumänischen Autor, der mit knapp 30 Jahren an Knochentuberkulose starb und doch bedeutende Gedichte und Romane hinterließ. Denn er ist nicht nur Pate der Hauptfigur Emanuel in Radu Judes neuem Film ­»Scarred Hearts – Vernarbte Herzen«; es werden auch immer wieder Zitate aus seinen Werken auf schwarzen Zwischentiteln eingeblendet, die von seiner langen Krankheit und vom Sterben liebgewonnener Mitpatienten zeugen. Judes Film spielt in einem Sanatorium an der rumänischen Küste, eine Art Zauberberg am Meer, für Menschen, deren Knochen sich einfach auflösen. Gipskorsette hindern sie daran, auseinanderzubrechen.

Mit der Diagnose beginnt für Emanuel eine Leidensgeschichte. Denn die Krankheit, Knochentuberkulose, von der er nun erfährt, wird den schmalen Rest seines Lebens prägen. Der Film aber verlässt die Stereotypien einer Krankheitsgeschichte, die sich sorgenden Eltern, die Anteil nehmenden Freunde und das stetige Auf und Ab von Fieberkurven und Heilungsversprechen, recht schnell. Fast von Anfang an herrscht ein ebenso poetischer wie ironischer Ton. Der Arzt ist offensichtlich ein Scharlatan, seine Methoden gleichen den Aderlässen des Mittelalters, und doch sind sie das einzige Mittel im Kampf gegen die medizinische Ausweglosigkeit. Emanuel, selbst irgendwie Dichter, man weiß es nicht so genau, spricht mit gewähltem Humor über sich und seine Umwelt, hat trotz versteifenden Gipskorsetts mit zwei Frauen gleichzeitig Affären, die auch Sex, so eingeschränkt er auch ausfallen muss, einschließen. Die Szene, in der zwei Menschen versuchen zum Höhepunkt zu kommen, die vom Hals bis zur Hüfte eingegipst sind, gehört zu den gelungensten des Films. Man spürt, wes Geistes Kind die Prosa von Max Blecher ist. Und diesen Autor wiederzuentdecken, der in den Naziwirren der späten 30er Jahre in Rumänien quasi vergessen wurde, scheint sich zu lohnen. Doch dazu ist der Film allein ein wenig zu verschroben.

Emanuel ist als Hauptfigur eine durchaus interessante Erscheinung. Er trägt viel von der Poesie Blechers und wird auch als ironisierende Figur nicht überbelastet. Die Schwarztitel mit Zitaten hingegen zerreißen das Wenige, das die Handlung an Fluss aufzubringen vermag. Die Patienten liegen steif in ihren Betten, sprechen nahezu bewegungslos miteinander und mit dem Personal, während die Szene von einer unbewegten Kamera festgehalten wird. Man fühlt sich wie in Harry Potters Fotoalbum. Und nur wenn die Betten auf die sonnenbeschienenen Balkone gerollt werden, bemüht sich auch die Kamera, im ruhigen Steadycam, ihnen zu folgen. Rado Jude wird seine Gründe für eine derartige Verlangsamung seines Films gehabt haben, sei es um das Poetische zu unterstreichen, sei es um die Bewegungslosigkeit seiner Protagonisten ins Bild zu überführen. Was er aber tatsächlich leistet, ist ein völlig unpathetischer Umgang mit dem Themenfeld Krankheit, den man trotz der Filmlänge von zweieinhalb Stunden anerkennen muss.

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