Kritik zu Rückkehr nach Korsika
Catherine Corsini erzählt in ihrem neuen Film von komplexen Familienbeziehungen, sexuellem Erwachen und Rassismus
Wie eine Verheißung liegt Korsika im Mittelmeer. Wenn auch nicht unbedingt eine positive: Als Khedidja (Aïssatou Diallo Sagna) und ihre Töchter Jessica (Suzy Bemba) und Farah (Esther Gohourou) in der Dämmerung von Bord der Fähre gehen, ist es nicht nur der schräge Kirchenorgelsound, mit dem Regisseurin Catherine Corsini schon zu Beginn ihres Films die Stimmung etabliert. Die Mittdreißigerin Khedidja, die während des Sommers bei einer wohlhabenden korsischen Familie als Erzieherin arbeiten will, hatte die Insel vor 15 Jahren verlassen – mitsamt der neugeborenen Jessica und ihrer damals dreijährigen Schwester. Khedidjas Mann, ein gebürtiger Korse, hatte einen tödlichen Unfall. Aber das war nicht der Grund für die Abreise gewesen.
»Rückkehr nach Korsika«, der im Original »Le Retour« heißt und damit das Thema des »Rückkehrens« über eine örtliche Ebene hinaushebt, ist ein Film über Unterschiede. Es beginnt bei den Unterschieden der Teenager – Jessica ist eine gute Schülerin, die gerade auf einer renommierten Universität aufgenommen wurde, ihre kleine Schwester entpuppt sich als energetische, pubertierende Nervensäge mit einem untrüglichen Sinn für Fettnäpfchen, Katastrophen und Gerechtigkeit. Es ist Farah, die am weißen Strand zwischen den weißen Menschen als Erstes lautstark thematisiert, womit sie und jede Schwarze Familie umgeben ist. Als ein paar nicht weiße Kinder beim Spielen einen Fußball gegen einen Jetski donnern, schimpft dessen Besitzer Orso (Harold Orsoni), ein junger, auf eine grundsätzliche Art attraktiver blonder Korse, sie sollten doch »zurück nach Hause« gehen. Die furchtlose Farah interveniert, später mopst sie Orso eine Packung Gras, um, vielleicht aus Trotz, abends am Strand das Klischee zu bedienen, das Schwarzen Menschen oft unterstellt wird: Sie vertickt das Gras an Tourist:innen.
Ihre Schwester Jessica erlebt derweil einen eigenen, ebenfalls von Rassismus und Klassismus geprägten Trip – zögerlich beginnt sie eine Affäre mit der feierlustigen Tochter von Khedidjas Arbeitgebern. Doch für die gutsituierte Gaïa (Lomane de Dietrich) ist das Aufbegehren ein Leichtes. »Mein Vater hat so viel Geld, dass er nicht weiß, wohin damit – lass ihn doch eine gemeinsame Wohnung für uns bezahlen, du brauchst nicht zu arbeiten!«, plant sie, ganz »White Saviour«, die Zukunft ihrer neuen Freundin über deren Kopf hinweg.
Langsam wird klar, was es ist, das Khedidja damals die Insel verlassen ließ, und was sich vor allem in den Strandszenen zeigt: Das »Othering«, wenn auch selten direkt ausgesprochen, funktioniert – die Schwarzen Körper sind zwischen den weißen Korsen und Korsinnen echte »Fremd-Körper«. Wie belastend so etwas ist, spiegelte sich in Khedidjas extremer Reaktion: Mit dem Verlassen der Insel kappte sie damals sämtliche familiären Verbindungen.
Corsinis vor allem von Newcomerin Esther Gohourou großartig und sehr natürlich gespieltem Film eilte ein schwieriger Ruf voraus. Im Zusammenhang mit der Produktion waren Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs lautgeworden – Teammitglieder sollen beim Dreh junge Frauen belästigt, die Regisseurin selbst eine nicht genehmigte Masturbationsszene mit der minderjährigen Gohourou gedreht haben, die im fertigen Film allerdings nicht zu sehen ist. Dabei stehen die harmlosen sexuellen Erlebnisse der Protagonistinnen (auch Khedidja trifft jemanden wieder) mitnichten im Zentrum der Geschichte, sondern dienen zur Beschreibung der drei Handelnden, die sich in unterschiedlichen Phasen ihrer Entwicklung befinden.
Und die, wieder ein Unterschied, auch generationsbedingt auf sehr individuelle Weise mit der Ungerechtigkeit umgehen, die mal deutlich, mal subtil ihr Leben bestimmt: Khedidja, die Älteste, winkt zum Thema Rassismus ab und behauptet, Farah denke sich alles nur aus. Jessica ist extrem strebsam – und hadert damit, in ihrer Schwarzen Familie festzustecken: »Sie ziehen mich hinab«, schreibt sie ins Tagebuch. Nur Farah lässt sich nicht unterkriegen, ist konfrontativ und nennt Orso einen Rassisten. Irgendwann wird trotzdem noch ein bisschen geknutscht. Aber das hilft bekanntlich nur für den Moment.
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