Kritik zu Roads
Wenn der Brexit auf die Flüchtlingskrise trifft – entsteht ein Buddymovie! »Victoria«-Regisseur Sebastian Schipper schickt einen geflüchteten Kongolesen und einen Engländer mit dem Wohnmobil durch Europa
Superlative sind mit Vorsicht zu genießen und zu gebrauchen, sonst wird es öde. Bei »Victoria« 2015 allerdings musste man jedoch einfach staunen: Dieser in einer einzigen, atemlosen, 140-minütigen Einstellung gefilmte Trip durch eine Berliner Nacht, virtuos und berührend zugleich, eine Wucht, eine Eruption auf den Seismografen der deutschen Kinolandschaft! »Victoria« ist als vorläufiges Opus Magnum von Sebastian Schipper Segen und Fluch zugleich, denn: Was soll danach bitteschön kommen?
Mit »Roads« nun ein Film, in dem er – und das ist grundsätzlich sicher die richtige Entscheidung – vieles anders macht. Der Regisseur verlässt das formale Korsett, das der One-Take-Film mit sich brachte, ebenso die urbanen Milieus, die er in Filmen wie seinem starken Debüt »Absolute Giganten« oder »Ein Freund von mir« ebenfalls zum neongetünchten Protagonisten werden ließ, und begibt sich hinaus auf die Straße in eine (vermeintliche) Freiheit. Treu bleibt sich Schipper dennoch, denn im Kern ist auch »Roads« ein Buddymovie.
Gleich zu Beginn werden wir hineingeworfen in eine marokkanische Nacht: Da läuft der aus dem Kongo geflohene William (Stéphane Bak) dem Londoner Gyllen (Fionn Whitehead) über den Weg, der mit dem geklauten Wohnmobil seines Stiefvaters vor dem Familienurlaub fliehen will, das Ungetüm allerdings nicht mehr anbekommt. Die beiden 18-Jährigen frotzeln etwas herum, »Du bist Chelsea-Fan?«, fragt Gyllen skeptisch wegen des Trikots, das William trägt. Der bringt dann in völliger Gelassenheit den alten Panzer wieder zum Laufen.
Damit ist der Grundstein gelegt für die Annäherung der Jungs, die beide auf ihre Art heimatlos sind. William wird zur Personifikation für die Flüchtlingssituation, auf die Europa mit Abschottung reagiert, Gyllen scheint der Leidtragende einer nicht intakten Patchworkfamilie, der obendrein noch aus dem Brexit-Land kommt. Gemeinsam begeben sie sich auf die Reise, von Marokko über Spanien und Frankreich bis nach Calais. William ist auf der Suche nach seinem Bruder, der seit seiner Flucht verschollen ist, Gyllen will zu seinem leiblichen Vater.
Auf dieser inneren und äußeren Reise wird sich, ganz in Roadmovie-Manier, einiges ereignen. Etwa die Begegnung mit dem von einem überdreht aufspielenden Moritz Bleibtreu verkörperten Althippie Luttger, dem die Jungs nach Eskapaden einen dicken Klumpen Hasch klauen, der den Bus kurzzeitig in einen qualmenden Coffeeshop auf Rädern verwandelt. Die Straße bleibt allerdings nicht lange Sehnsuchtsort, sondern wird zum Unort, wenn das Duo weitere Flüchtlinge über Grenzen schmuggelt, sich an einer französischen Imbissbude mit ein paar Rassisten anlegt und dabei langsam den eigentlichen Zielen näherkommt.
Hier nun wären wir wieder bei der Freiheit, die inhaltlich und formal eine vermeintliche ist. Denn weder finden die Jungs sie auf den Straßen, die zum pessimistischen Spiegelbild eines Europas werden, das nicht gerade mit Nächstenliebe glänzt, noch weiß Schipper sie recht zu nutzen. Zwischendurch verliert der Film den Rhythmus und franst erzählerisch an einigen Enden aus. So ist etwa die Flüchtlingsthematik bei aller Dringlichkeit, das Thema ins Bewusstsein zu holen, arg pädagogisch geraten.
Dass Bilder allerdings sehr wohl funktionieren können, zeigt jene wunderbare Szene, in der sich die Jungs in hermetischer Zweisamkeit gegenübersitzen. Sie blinzeln, blicken sich an und schmeißen sich Worte wie »Rassist«, »Boyband« oder »Jesus« zu. Der Zuschauer blickt aus den Augen des einen auf das Gegenüber und wird so zum Teil dieses Spiels mit stereotypen Vorstellungen.
In solchen Szenen schimmert Sebastian Schippers Händchen für visuell eindringliche, poetische Momente durch. Überhaupt ist dieser Film, der holpert und poltert wie das alte Wohnmobil, dann am stärksten, wenn er nah bei den beiden Heimatlosen bleibt.
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