Kritik zu The Place Beyond the Pines
Nach Blue Valentine der neue Film von Derek Cianfrance: Was wie ein Thriller beginnt, wandelt sich zu einem breit angelegten Triptychon über Verantwortung, Schuld und Wiedergutmachung
Mit einer langen, beeindruckenden Plansequenz beginnt dieses 140-minütige Werk: Ein Motorrad-Stuntman bereitet sich auf seinen Auftritt bei einer Provinzshow vor, nimmt Aufstellung mit seinen beiden Kollegen, und nacheinander steuern sie ihre Maschinen in einen kugelförmigen eisernen Käfig, in dem sie dann auf engstem Raum ihre Bahnen umeinanderziehen. Ein Bild, das zugleich von Raserei und Kontrolle, von Irrsinn und Präzision erzählt. Ryan Gosling spielt den Stuntfahrer Luke, einen einsamen, einzelgängerischen Typen, eine Art verloreneren Bruder seines Dean aus Blue Valentine. Was er von sich selbst hält, drückt sich bereits in seiner abgerissenen Erscheinung aus, in zerschlissenen Klamotten und dilettantischen Tattoos, die ihn mehr verunstalten denn schmücken.
Doch in jener Kleinstadt in der Provinz, wo seine Show gerade wieder einmal Station macht, begegnet er einer Frau wieder, mit der er einst einen One-Night-Stand hatte (Eva Mendes). Und als er erfährt, dass er der Vater ihres kleinen Sohnes ist, beschließt er, Verantwortung zu übernehmen – obwohl Romina inzwischen einen Partner hat. Da Luke mit ehrlicher Arbeit nicht genug verdient, um seinen Sohn zu unterstützen, setzt er auf sein besonderes Talent, das Motorradfahren, und wird zum Bankräuber auf zwei Rädern. Und so kommt der nächste Handlungsstrang in Gang, beginnt der zweite Teil des Triptychons, der sich um den ehrgeizigen Polizisten Avery (Bradley Cooper) dreht. Durch die schicksalhafte Verknüpfung mit dem Bankräuber wird Avery in korrupte Machenschaften innerhalb der Polizei verwickelt, bevor The Place Beyond the Pines mit einem großen zeitlichen Sprung zu weiteren Hauptfiguren wechselt und sie mit diesen Vorgeschichten verknüpft.
Die ambitionierte Konstruktion, mehr aber noch die moralischen Themen, die der Film an und mit ihr thematisiert, erinnern an die großen Moraldramen von Alejandro González Iñárritu wie 21 Gramm oder Babel. Hier wie dort geht es um das Fortwirken von Leid und Schuld, um das Erbe von Gewalt, um persönliche Verantwortung in einer Welt, in der kein Mensch eine Insel ist, jede individuelle Entscheidung Folgen auch für andere hat. Und es geht um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Versöhnung und Wiedergutmachung. Anders als Iñárritu erzählt Cianfrance seine Geschichten nicht in Parallelsträngen, sondern setzt seine zahlreichen Motive und Perspektiven linear wie an einer Perlenkette hintereinander. Das ist es vielleicht, was seinen Film letztlich so planspielhaft, kalkuliert und schwerfällig erscheinen lässt.
Das ist umso bedauerlicher, als The Place Beyond the Pines unbestreitbare Qualitäten hat: Die Besetzung ist bis in Nebenrollen hinein glänzend, etwa mit Ben Mendelsohn als Mechaniker und Komplizen von Luke oder mit Ray Liotta in einer weiteren Schurkenrolle als korruptem Cop, und Cianfrance hat seinen Schauspielern offensichtlich viel Raum zur Entfaltung gegeben. Einzelne starke Szenen stechen heraus, etwa der erste Bankraub, bei dem der zuvor eher stoisch wirkende Ryan Gosling sehr eindringlich die Anspannung seiner Figur vermittelt, mit aggressiver Überdrehtheit und sich überschlagender Stimme. Die Musik ist geschickt eingesetzt, immer wieder und in ganz verschiedenen Interpretationen etwa Arvo Pärts Stück »Fratres«, das selbst dramatisch aufgeladenen Momenten eine Ebene der Reflexion hinzufügt. Im ersten Teil ist auch die Kameraarbeit brillant, während sie danach nicht nur an dunkel-dräuen- Alles andere als eine glückliche Familie: der kleine Jason und seine Eltern Luke (Ryan Gosling) und Romina (Eva Mendes) der Farbigkeit verliert, sondern insgesamt etwas verblasst. Ähnlich wie das mäandernde Drehbuch scheinen auch die Bilder irgendwann nicht mehr so genau zu wissen, worum es gerade geht.
So will der Film sehr vieles auf einmal, was auf Kosten der Konzentration und der Spannung geht. Viele Wendungen zeichnen sich frühzeitig ab; die emotionale Kraft, die durchaus in diesen Geschichten liegt, verpufft daher meist. Nichts scheint mehr wirklich dringlich. Auch die moralischen Konflikte meint man anderswo schon auf tiefer schürfende Weise verhandelt gesehen zu haben – es sind ihrer aber auch gar zu viele, die nur angerissen und nicht ausgelotet werden. Für einen so langen, ambitionierten Film mit einer Vielzahl an Motiven und Handlungssträngen hat The Place Beyond the Pines dann doch nicht allzu viel zu sagen.
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