Kritik zu Picco

© Movienet

Philip Koch erzählt in seinem Regiedebüt von der unerbittlichen Hackordnung eines Jugendgefängnisses – entlang eines wahren Falles, bei dem ein Insasse von seinen Mithäftlingen gefoltert und umgebracht wurde

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»Sie müssen sich eines klar machen«, sagt die Gefängnispsychologin am Anfang des Films zu dem neuen Häftling, »das ist alles Teil Ihrer Bestrafung.« Geradezu höhnisch wirkt dieser Satz, ruft man ihn sich noch einmal ins Gedächtnis, nachdem man in Philip Kochs »Picco« 108 düstere Kinominuten lang den grausamen Alltag im Jugendstrafvollzug durchlebt hat.

Philip Koch, Absolvent der Münchner Filmhochschule, erzählt zunächst von Kevin (Constantin von Jascheroff), der in einem Jugendgefängnis landet und sich nur schwer in die Hackordnung unter den Häftlingen einfindet. »Picco« – so nennen sie im Knast die Neuankömmlinge, und die werden erst einmal wie Fußabtreter behandelt. Kevin lernt langsam, sich zur Wehr zu setzen. Was ihm schwerer fällt, ist, die Augen vor der alltäglichen Gewalt zu verschließen. Als herauskommt, dass ein Mitgefangener auf dem Straßenstrich verhaftet wurde, wird der zum Freiwild erklärt, vergewaltigt und in den Selbstmord getrieben. »Jeder ist hier drin für sich selbst verantwortlich«, sagt Tommy (Joel Basman) danach zu Kevin, »entweder du teilst aus, oder du steckst ein.« Nur wenig später, als die Willkür der Gruppendynamik sich ein neues Opfer sucht, ist Tommy derjenige, für den diese Logik zum Verhängnis wird. Es fängt damit an, dass Marc (Frederick Lau) den ungelesenen Brief der Freundin anzündet, auf den Tommy schon seit Wochen wartet, und endet damit, dass die drei Zellenbewohner ihr neues Opfer eine ganze Nacht lang misshandeln und schließlich mit einem fingierten Selbstmord, wie es im Gefängnisjargon heißt, »weghängen«.

Obwohl sich Koch mit bildästhetischer Strenge dem Voyeurismus verweigert, sind diese letzten 40 Filmminuten, in denen sich die Spirale der Gewalt bis zur vollkommenen Entmenschlichung steigert, für das Publikum kaum zu ertragen. Dabei werden hier viele Details jenes realen Falles ausgespart, auf den sich der Film in seinem letzten Drittel beruft.

Im Jahre 2006 hatten drei Gefangene in der JVA Siegburg ihren Mithäftling eine ganze Nacht lang gefoltert und schließlich ermordet. Die erschreckenden Ereignisse waren für Koch die Initialzündung für das Filmprojekt, das sich auf ausführliche Recherchen stützt. Gefilmt wurde in einem bayerischen Gefängnis, das erst ein Jahr vor Drehbeginn stillgelegt worden ist. Die hervorragende Kameraarbeit von Markus Eckert setzt im klaustrophobischen Setting auf den wirkungsvollen Kontrast zwischen statischen Einstellungen in den Innenräumen und einer Handkamera, die den Figuren beim Hofgang auf Schritt und Tritt folgt. Die strenge Bildästhetik und die unnachgiebige Härte, mit der Koch sein beklemmendes Gefängnisdrama zeichnet, lassen deutlich die Filme Michael Hanekes als Vorbilder erkennen. Dem Zuschauer bleiben hier ebenso wenig Fluchtmöglichkeiten wie seinen eingekerkerten Figuren, und diese unerbittliche Haltung des Films wird das Publikum polarisieren. Dabei ist »Picco« mehr als nur Anklage gegen das deutsche Strafvollzugssystem. Kochs schmerzhaft sezierender Blick auf männliche Gewaltstrukturen und Gruppendynamik weist weit über die Gefängnismauern hinaus.

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