Kritik zu Nymphomaniac 2

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Im zweiten Teil von Lars von Triers »Arthouse-Porno« wird es ernst: Mit Masochismus, Kindsvernachlässigung, Pädophilie und Frauenliebe katalogisiert der Film weiter Sexualität und Perversionen – und handelt doch vielleicht von etwas und jemandem ganz anderem

Bewertung: 3
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3.3 (Stimmen: 6)

Mit dem Spaß ist es vorbei. »Nymphomaniac II« setzt zwar genau da ein, wo »Nymphomaniac I« aufhörte – zur Erinnerung: Joe (Charlotte Gainsbourg) hat ihre Orgasmusfähigkeit eingebüßt –, aber zu lachen gibt es nichts mehr. Der erste Teil konterkarierte mittels der abstrusen Abschweifungen von Seligman (Stellan Skarsgård) über nach Kuchenlöffeln suchende russische Revolutionsgarden oder das Fliegenfischen die Nyphomanenerzählung mit einer in ihrer Leichtfüßigkeit bei Lars von Trier irritierenden Ironie. Davon bleibt im zweiten Teil nur noch die wehmütige Erinnerung. Zwar kommt Seligman wieder mit Ausführungen etwa zur Geschichte der Ostkirche oder zum Prusikknoten zu Wort, aber Joes lakonische Antwort: »This was one of your weakest digressions« verschafft kaum mehr »comic relief«. Im Gegenteil, man ist eigentlich geneigt, ihr zuzustimmen.

Diese Wende in die Humorlosigkeit hat zwei Ursachen. Zum einen wird Seligman »geoutet«. Dem ein oder anderen Zuschauer mag der Gedanke schon im ersten Teil gekommen sein, Joe spricht ihn aber erst jetzt aus: Seligman ist noch Jungfrau. Und mehr noch: er begreift sich als zutiefst asexuell. Für seine so unkonventionellen wie unerregten Assoziationen zu Joes Sex­eskapaden mag das eine schlüssige Erklärung sein. Seine bis dahin so wunderbar mysteriös wirkende Figur aber findet sich entzaubert. Der Konflikt­aufbau erscheint auf einmal flach wie ein Schnittmuster: die Nymphomanin und ihr keuscher Zuhörer. Und die auf Schock – was sonst? – setzende Schlusswende, die von Trier für seine Hauptfiguren findet, macht es nicht besser.

Zum anderen funktioniert der Rest von Joes Erzählung über das, was der Ausgangssituation des Films – Seligman findet sie niedergeschlagen in einer Gasse – vorausging, zunehmend als Katalog­illustration weiblicher Perversionen. Da gibt es die Sehnsucht nach Unterwerfung und Geschlagenwerden (und Jamie Bell in der Rolle eines Dominatrix), die Vernachlässigung des eigenen Kindes, das madonnenhafte Mitleid mit einem Kinderschänder und die lesbische Beziehung mit einer Frau. Nicht zu vergessen das, wovon alle Frauen träumen, auch wenn es nicht alle zugeben wollen (so Joe zu Seligman): Sex mit »Negros«. Woran sich natürlich eine Diskussion über politische korrekte Ausdrücke anschließt.

Joe verteidigt die Verwendung von »Negro« mit dem bekannten Argument, man müsse die Dinge doch bei ihrem Namen nennen. Es ist eine jener Stellen, an denen man erkennt, wie stark sich Lars von Trier mit seiner weiblichen Hauptperson identifiziert und eigentlich er aus ihr spricht. Wie überhaupt die autobiografischen Referenzen auch auf das eigene filmische Werk (eine Szene aus »Antichrist« erfährt quasi ein Remake) sehr deutlich gesetzt sind. Die Interpretation des Ganzen wird dadurch nicht einfacher. Will »Nymphomaniac« eine feministische Kritik an einer Gesellschaft sein, die vordergründig Gleichheit verheißt, insgeheim aber eben jene Frauen erniedrigt, missbraucht und als Huren beleidigt, die ihre eigene Sexualität ausleben wollen? Oder geht es Lars von Trier doch weniger um Sex als vielmehr um die eigene Identität als Künstler? Ist »Nymphomaniac« Provokation um der Provokation willen – mit wohldosierter Blasphemie (im Stil von »Vulva, la mea maxima vulva«), präzis kadrierten Aufnahmen von Geschlechtsteilen und einem Blowjob für den armen Kinderschänder? Auch wenn man es Seligman nachmachen möchte und nur die trockene, asexuelle Struktur des Films zu enträtseln versucht, kommt man nicht weit: ja, der Film spielt mit der Fibonacci-Sequenz, er besteht aus acht Lektionen, im ersten Teil fünf, im zweiten drei, und tatsächlich hat Jerome (Shia LaBeouf) die 15-jährige Joe mit eben dieser Anzahl an »Stößen« entjungfert. Aber diese Strukturverliebtheit gehört eher zu Lars von Triers schwächeren Digressionen.

Wie dem auch sei: Man kann »Nymphomaniac« als Film begrüßen, der dazu antreibt, in ihm interessante Dinge zu entdecken und sich fortschrittliche Gedanken zum Geschlechterverhältnis zu machen. Aber es sei auch gewarnt: Von Triers vollmundig angekündigter »Arthouse-Porno« liefert sowohl in puncto Arthouse als auch in puncto Porno nicht ganz das, was er verspricht.

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