Kritik zu Nymphomaniac

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Eine geschickte Werbekampagne lenkt seit Wochen die Aufmerksamkeit auf Lars von Triers in verschiedenen Versionen kursierenden neuen Film. Jetzt kommt die kurze Fassung des ersten Teils ins Kino

Bewertung: 3
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3.9 (Stimmen: 7)

Als Lars von Trier vor drei Jahren bei der Premiere von »Melancholia« sein neues Projekt mit dem Arbeitstitel »The Nymphomaniac« erwähnte, klang alles noch wie ein Witz. Einen Film mit »viel Sex und viel Philosophie« kündigte er an, versprach unter anderem, es werde darin eine »echte Penetration« zu sehen geben und streute Gerüchte über die Besetzung. Bezeichnenderweise wurden diese scherzhaften Ankündigungen ebenso ernst genommen wie jene andere Bemerkung (zur Erinnerung, er sagte: »I am a Nazi« und meinte es nicht ernst), die er in Cannes tätigte und ihm dort den Status des Unerwünschten einbrachte. Wie es um seinen Sinn für Humor bestellt ist, demonstrierte von Trier einmal mehr, als er in Berlin zur Premiere des Director‘s Cut von »Nymphomaniac 1« im T-Shirt mit Cannes-Festival-Logo und »Persona non Grata«-Aufschrift erschien. Ja, unser Lars liebt einen guten Witz. Und seit er sich im Nachhall des damaligen Skandals ein Schweigegelübde für Pressekonferenzen und dergleichen auferlegt hat, bleiben ihm dafür nur noch seine Filme.

Denn damit ist das »Nymphomaniac«-Projekt wohl am besten beschrieben: als eine Art »long con«, wie es die Amerikaner nennen, ein von langer Hand vorbereiteter Trickbetrug. Solche »long cons« enden meist mit einer zotenhaften Pointe: entblößt werden sowohl der Betrüger als auch die Betrogenen in ihrem Begehren. In ähnlicher Weise konfrontiert »Nymphomaniac« den Kinozuschauer mit dem, was er am liebsten sehen will. Was kann das anderes sein als Sex, scheint uns hier ein etwas schmierig grinsender Lars von Trier zu sagen.

Der Film beginnt mit Aufnahmen einer schmutzigen Gasse im Nieselregen. Eine Frau in Jeans liegt auf dem Pflaster, ein Mann kommt herbei und will ihr aufhelfen. Die Frau stellt sich als Joe vor und wird von Charlotte Gainsbourg dargestellt. Sie scheint geschlagen worden zu sein. Der Mann, den Stellan Skarsgård verkörpert, heißt Seligman. Er nimmt die Frau mit nach Hause, wo er sie wie ein Kind ins Bett steckt und mit Tee versorgt, während er an der Bettseite Platz nimmt und ihr gewissermaßen die Beichte abnimmt. Denn Joe leitet ihre Erzählung mit den Worten ein, sie sei ein schlechter Mensch und selbst schuld an ihrer misslichen Situation. Sehr bald kommt sie zur Sache: »Ich war zwei, als ich meine Möse entdeckte«. Im Folgenden wird in Rückblenden, in denen Stacy Martin die Rolle der jungen Joe übernimmt, ihre sexuelle Biografie geschildert. Etwa wie sie sich mit 15 vom wenig empfindsamen Jerome (Shia LaBeouf) entjungfern lässt, um dann mit einer Freundin um die Wette Männer aufzugabeln. Später gesteht sie, bis zu zehn Liebhaber am Tag gehabt zu haben. Ihre Lust thematisiert sie dabei wenig, es geht stets mehr um Schuldgefühle und Unwohlsein. Ein weiteres Mal erweisen sich Männer bei Lars von Trier als Menschen (Christian Slater stirbt als Joes Vater einen herzzerreißend elenden Tod) und Frauen als Wesen, die sich in Nymphen und Furien aufteilen. Die einen verführen mit knabenhafter Asexualität, die anderen (Uma Thurman hat einen furiosen Auftritt als betrogene Ehefrau) rufen als reife Frauen alle möglichen widrigen Gefühle hervor, nur keine Lust.

In der Rahmenhandlung kommentiert Seligman Joes Geständnisse auf eigenartige Weise. Ihre Verführungstechniken vergleicht er mit denen des Fliegenfischens, oder er kommt auf Bach und die Fibonacci-Folge zu sprechen. Untermalt von Pseudo-Archivmaterial, weiß man als Zuschauer nicht, ob man diese Kommentare hanebüchen oder oberschlau finden soll. Im Zweifelsfall geben sie willkommenen Anlass zum Auflachen. Und dann erlaubt sich von Trier den »Meta-Witz«, Joe einen dieser Kommentare als bloße Abschweifung kritisieren zu lassen. Ein Augenzwinkern des Regisseurs, dass hier gar nichts, nicht einmal die Komik, ernst zu nehmen ist?

Während all die expliziten Szenen, die im Vorfeld den Ruf des Films bestimmten, durchintellektualisiert und steril daherkommen, erweist sich »Nymphomaniac« als »schlüpfrig« in ganz anderem Sinne. Man kriegt diesen Film interpretatorisch nicht zu fassen. Wo der Ernst aufhört und die Farce beginnt, wo es um weibliche Sexualität und wo um männliche Projektion geht, darüber gibt zumindest der erste Teil, egal ob in der kürzeren oder der Director‘s-Cut-Fassung, noch keine echte Auskunft.

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