Kritik zu Nur ein Tag
Vom kurzen Leben einer Eintagsfliege: Martin Baltscheit adaptiert sein Bilderbuch über das Glück des Augenblicks für die Leinwand mit Schauspielern, die in die Rollen von Fuchs, Wildschwein und Fliege schlüpfen
Nur einen Tag Lebenszeit hat die kleine Eintagsfliege auf unserer Welt. In wenigen Stunden wird sich ihre ganze Existenz vollenden. Für diesen Moment hat sie drei Jahre im Weiher verbracht, bis sie an einem frühen Morgen im Mai endlich schlüpft. Es kommt natürlich auf die Perspektive an, womöglich ist die Bestimmung der Fliege eher, als Larve im Tümpel zu existieren und den Fischen als Futter zu dienen? Diese und andere philosophische Fragen diskutieren Fliege, Fuchs und Wildschwein, die sich im Wald begegnen. Das Wesentliche: Die Tiere werden von Menschen dargestellt. Lars Rudolph als Fuchs und Aljoscha Stadelmann als Wildschwein sitzen wie jeden Morgen in ihren Liegestühlen und hören im Waldfunk »Der frühe Vogel«, in dem der Moderator ankündigt, dass wieder Eintagsfliegenschlüpftag ist. Fuchs und Wildschwein, die keineswegs als Tiere verkleidet, sondern lediglich ein wenig Retro gestylt sind, beobachten, wie die kleine Fliege (Karoline Schuch) aus dem Wasser steigt. Eigentlich wissen sie, dass sie sich besser verstecken sollten, denn wenn sie sich mit ihr anfreunden, werden sie sie lieb gewinnen und umso mehr leiden, wenn sie am Abend »den Löffel abgibt«. Andererseits können sie gar nicht anders, als sich auf dieses nette Wesen einzulassen, die noch dazu glaubt, sie sei eine Maifliege und hätte das ganze Leben lang Zeit, um die Welt zu erobern. So machen die beiden Freunde aus diesem Missverständnis eine Tugend und behaupten, der Fuchs hätte nur noch diesen Tag auf Erden, woraufhin sich die Fliege ins Zeug legt, ihm den Tag – und damit unbewusst ihren eigenen – so ereignisreich wie möglich zu gestalten.
In diesem Film steckt unglaublich viel Lebensweisheit. Schon die Entscheidung des Regisseurs Martin Baltscheit, Tiere von Menschen darstellen zu lassen, ganz so, als spielten Kinder ihr »Ich tu so, als wäre ich ein Tier«-Spiel, ist mutig und funktioniert ganz fantastisch – ein noch nie gesehener Kunstgriff. Damit nimmt er die Spielfreude der Kinder ernst und erinnert die Erwachsenen an eine unbeschwerte Zeit ihrer Kindheit. Baltscheit hat die Geschichte, die sich übrigens ein Mädchen ausgedacht hat, zunächst als Bilderbuch veröffentlicht und auf dem Theater inszeniert. Mit viel Liebe zum Detail und in wunderbaren Naturbildern lässt er seine Protagonisten sich austoben, die die Charaktereigenschaften ihrer Tiere lediglich angedeutet umsetzen. Fuchs und Wildschwein zanken sich als »Best Buddies« durch die Geschichte, während die Fliege auf ihre Antipodin trifft – herrlich depressiv von Anke Engelke dargestellt –, die weiß, dass sie nur diesen Tag zur Verfügung hat und ihre Zeit damit verplempert, die Stunden rückwärts zu zählen. Das Wissen um den nahenden Tod lässt den Film an manchen Stellen melancholisch werden, um jedoch sofort wieder daran zu erinnern, das Glück des Augenblicks zu genießen. In bestem Sinne ein Film für die ganze Familie, denn die Kinder werden sich im Spielspaß der Erwachsenen wiederfinden, während diese sich fragen, wann sie zum letzten Mal einen so vergnüglichen Tag in der Natur verbracht haben.
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