Kritik zu My Winnipeg
Der kanadische Autorenfilmer Guy Maddin porträtiert seine Geburtsstadt Winnipeg und seine eigene Familie auf verspielte und erfinderische Weise, die mit »dokumentarisch« nur bedingt etwas zu tun hat
»The Documentary Channel presents« liest man im Vorspann des jüngsten abendfüllenden Films von Guy Maddin. Auch wer die früheren Arbeiten dieses so einzigartigen kanadischen Filmemachers nicht kennt, kann erahnen, dass er es hier nicht mit einem herkömmlichen Dokumentarfilm zu tun hat, denn noch bevor der Vorspann auf der Leinwand erscheint, sieht man eine alte Dame, der eine Männerstimme aus dem Off ihre Dialoge vorspricht, um dann ihre Betonungen zu korrigieren. Guy Maddin bleibt sich auch in diesem Film treu, mit seinen an das Repertoire des Stummfilms erinnernden Bildschöpfungen, ebenso wie mit melodramatischen Handlungskonstruktionen. Der Verzicht auf eine durchgehende Geschichte ermöglicht es ihm hier sogar, seine Fantasie noch weiter schweifen zu lassen und disparates Material zusammenzufügen.
Die Erzählerstimme (Maddin selber) ist die eines nicht mehr ganz jungen Mannes, der über diese Stadt räsoniert, in der er geboren wurde und die er bisher noch nie verlassen hat. Jetzt sitzt er in einem Zug, endlich bereit, Winnipeg hinter sich zu lassen, vor ihm tauchen Bilder auf, aus seiner Vergangenheit und aus der Vergangenheit der Stadt, ein nicht abreißender Strom von Ereignissen. Was die Geschichte der Stadt anbelangt, sind die meisten derart kurios, dass der Zuschauer ihren Wahrheitsgehalt automatisch infrage stellt. Das fängt an bei der jährlichen Schatzsuche, bei der der Preis eine Fahrkarte fort aus Winnipeg war – die aber nie jemand eingelöst hat, weil jeder im Verlauf der Schatzsuche die Schönheit der Stadt zu würdigen lernte. Und es hört mit der Geschichte von den Rennpferden, die einen Winter lang im Eis eingefroren waren, noch lange nicht auf.
Der zweite Erzählstrang des Films ist die Familiengeschichte des Erzählers. Die wird einerseits dokumentiert mit Amateurfilmen und Familienfotos, zum anderen aber auch fiktional rekonstruiert. Denn um sich endgültig von seiner dominierenden Mutter zu lösen, lässt der Erzähler von ihr und von Schauspielern, die seine Geschwister verkörpern, Szenen aus der Vergangenheit nachspielen. Eine Fiktion in der Fiktion, die noch zweifach verkompliziert wird, zum einen dadurch, dass die Mutter zeitweise selber als Schauspielerin arbeitete – in der einzigen Fernsehserie, die je in Winnipeg gedreht wurde (deren Plot wiederum hochgradig bizarr ist), und dass die Mutter in Wirklichkeit ebenfalls eine Schauspielerin ist – diejenige, die zu Beginn des Films ihre Regieanweisungen empfing.
Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Schauspielerin, sondern um Ann Savage. Das mag kein allzu bekannter Name sein, aber einer, den sich jeder gemerkt haben dürfte, der einmal Edgar G. Ulmers Film noir »Detour« gesehen hat. Da war sie die Frau, die dem Protagonisten zum Verhängnis wurde, eine der maliziösesten Femmes fatales des Film noir, die ein ebenso schlimmes wie melodramatisches Ende fand. Wenn sie hier als Mutter ihre Tochter ins Verhör nimmt, die vollkommen durch den Wind ist, nachdem sie auf der Landstraße mit ihrem Wagen mit einem Wildtier kollidierte, dann wird darin etwas von ihrer Figur aus »Detour« lebendig.
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