Kritik zu Mother
Ein Schuss Hitchcock, eine Prise Lynch: Bong Joon-hos Thriller über eine Mutter, die mit allen Mitteln die Unschuld ihres Sohnes beweisen will, mixt Konventionelles mit Außergewöhnlichem
Bong Joon-ho versteht es, sein Publikum auf dem falschen Fuß zu erwischen. In seinem grimmigen Serienkillerfilm »Memoires Of Murder« steckt, zumindest in der ersten Hälfte, auch eine schwarze Komödie. Und in dem internationalen Überraschungserfolg »The Host« verbinden sich Monstermovie und Familiendrama mit einer gehörigen Portion Slapstick, als wäre es die selbstverständlichste Mischung der Welt. Für unsere westlichen Augen bieten die Filme des Koreaners immer wieder überraschende Umschwünge und kuriose Brüche; die Demarkationslinien zwischen Schwere und Leichtigkeit, Poesie und Posse sind gelegentlich nur schwer auszumachen.
Auch »Mother«, Bongs neuerlicher Ausflug ins Crime-Genre, bietet eine irritierende Mixtur aus Vertrautem und Fremdem, Konventionellem und Außergewöhnlichem. Schon die Titelsequenz hat es diesbezüglich in sich. Sie zeigt eine in die Jahre gekommene Frau, die in hüfthohem Gras einen rätselhaften Tanz vollführt. Ihr entrückter Gesichtausdruck macht es praktisch unmöglich zu entscheiden, ob sie von Freude, Schmerz oder Wahn getrieben ist – ein erster surrealer Moment, der signalisiert, dass es keine letzten Sicherheiten geben wird in diesem Film. Die Gefühle und Motive der Protagonisten bleiben vorwiegend im Dunklen, ebenso die tieferen Mechanismen des Plots.
Die Frau auf dem Feld wird von Kim Hyeja verkörpert, in Korea so etwas wie die (Schauspiel-)Mutter der Nation. Ihre Rolle ist mit dem Filmtitel hinlänglich charakterisiert; einen Namen braucht sie nicht. Wie ihren Augapfel behütet diese starke, zähe, besitzergreifende Glucke ihren erwachsenen Sohn, einen Mittzwanziger von geringem Verstand. Die beiden essen zusammen, schlafen im selben Bett, und in der wohl schrägsten Szene flößt sie ihm Tee ein, während er gegen eine Mauer pinkelt. Man könnte sich auf die Suche nach dem Pathologischen in diesem Verhältnis machen, doch Bong führt es nur lakonisch vor. Wenig später, wenn der junge Mann beschuldigt wird, ein Mädchen ermordet zu haben und auch gleich ein Geständnis ablegt, ergibt sich die Unerbittlichkeit der Mutter dann fast von selbst: Keinesfalls wird sie ihr Kind im Stich lassen, sondern vielmehr mit allen Mitteln versuchen, seine Unschuld zu beweisen.
Diese Prämisse macht »Mother« zur Hitchcockvariation, und der Film erweckt auch für eine Weile den Anschein, als wolle er den Regeln des Murder Mystery folgen. Doch je weiter die Mutter mit ihren Recherchen vorankommt, desto mysteriöser und scheinbar zielloser wird die Handlung. Bong baut Schlenker und Umwege ein, öffnet einen Pfad in die Vergangenheit, treibt ein enigmatisches Spiel mit Verdopplung und Symmetrie, Variation und Wiederholung. Am Anfang wird der Sohn vor dem kleinen Geschäft, in dem die Mutter Kräuter und Hölzer verkauft, in einen Unfall verwickelt. Wenn die Polizei ihn später verhaftet, inszeniert Bong das wie ein Spiegelbild der ersten Szene (wie einen weiteren Unfall?). Zwei Geständnisse legt der Junge ab; doch ist auch das zweite falsch, nur weil er beim ersten gelogen hat? Permanent spielt Blut eine Rolle: Mal wird es der falschen Person zugeordnet, mal ist es selbst »falsch«, weil es sich um Lippenstiftspuren handelt, mal gewährt es, als Nasenbluten, ein mirakulöses Alibi. Und einmal breitet es sich als Lache aus, ein bizarrer, virtuos-ironischer Suspense-Moment.
Bongs spiralförmiger Film bietet gleich mehrere solcher Motivketten und Zirkelschlüsse, er ist einerseits kunstvoll ausgetüftelt, andererseits verspielt bis an den Rand der Alberei. Insbesondere die Szenen mit den auf niedrigem forensischen Niveau ermittelnden Polizisten verleihen dem Drama eine schräge Note. Die einfältigen Beamten arrangiert Bong in äußerst ungewöhnlichen, die Leere betonenden Bildkompositionen – und erinnert so ein ums andere Mal an die traumhaften Bilderwelten eines David Lynch, bei dem das Abgründige und das Drollige ja ebenfalls ungewöhnliche Allianzen eingehen.
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