Kritik zu Mona Lisa and the Blood Moon

© Weltkino

2021
Original-Titel: 
Mona Lisa and the Blood Moon
Filmstart in Deutschland: 
06.10.2022
Heimkinostart: 
06.01.2023
L: 
107 Min
FSK: 
16

Wenn hypnotische Superkräfte noch das normal­ste an der Heldin sind: Im neuen Film von Ana Lily Amirpour bricht eine junge Frau aus einer Anstalt aus und findet unter den Außenseitern von New Orleans Unterschlupf

Bewertung: 4
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»Vergiss, was du weißt«, steht auf dem Glückskeks, den der Polizist Harold (Craig Robinson) in einem Asia-­Imbiss in New Orleans bekommt. Ein Omen, das sich bald bewahrheiten wird. Zuvor hatte über den Sümpfen von Louisiana ein Blutmond die Nacht in tiefes Rot getaucht. Auch das kein gutes Zeichen. 

Im Hochsicherheitstrakt einer geschlossenen Psychiatrie kauert eine junge Frau in einer Einzelzelle lethargisch auf dem Boden, die Arme fest in einer Zwangsjacke. Noch. In der 22-jährigen Mona Lisa (Jun Jong Seo) schlummern telekinetische Fähigkeiten, die sich nun mit dem Auftauchen des Blutmonds Bahn brechen. Ein intensiver Augenkontakt genügt und die schikanierende Wärterin, die gerade zum Fußnägel­schneiden ansetzte, rammt sich die Schere in den eigenen Oberschenkel. Mona Lisa gelingt die Flucht.

Draußen begegnet sie bald ein paar Straßenkids, die ihr Klamotten und Sneakers geben, macht Bekanntschaft mit dem exzentrischen DJ und Teilzeitdealer Fuzz (Ed Skrein) und trifft kurz darauf die abgehalfterte Stripperin Bonnie (Kate Hudson in einer Paraderolle als schmierige Südstaatenbraut). Sie nimmt das scheue, unbeholfen wirkende Mädchen unter ihre Fittiche, um dessen Hypnosetalent für eigene Zwecke zu Raubzügen zu missbrauchen. Bald ist ihnen der örtliche Polizist Harold auf den Fersen. Doch wer ist hier wirklich böse, wer gut? Was hat es mit Mona Lisas nordkoreanischer Herkunft auf sich? Warum war sie zehn Jahre lang in der Anstalt? Das hält der Film mit seinen ambivalenten Figuren geschickt in der Schwebe. Vergiss, was du weißt.

Die Filmemacherin Ana Lily Amirpour, als Kind iranischer Eltern in England geboren und in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, hat sich mit ihren beiden ersten Genrewerken eine kleine Kultgemeinde erspielt. Ihr Debüt »A Girl Walks Home Alone at Night« 2014, ein in der fiktiven persischen Geisterstadt Bad City angesiedelter Vampirfilm, hatte dem Genre in furiosen Schwarz-Weiß-Bildern und Postpunk­ästhetik neues Leben eingehaucht. Der Nachfolger »The Bad Batch«, eine kannibalistische Post­apokalypse im texanischen Niemandsland mit Starbesetzung (Suki Waterhouse, Jason Momoa, Keanu ­Reeves), war 2016 noch radikaler, auch in seiner ausgestellten Gewalt. Dagegen ist ihr dritter Film nun ein überraschend leichthändig erzähltes, superhippes Gossenmärchen, das wohlwollend auf seine Außenseiter blickt, dabei nicht minder unkonventionell und subversiv. 

Und durchaus explizit. Amirpour weiß das Düster-Karnevaleske des zwielichtigen New Orleans zu nutzen, das sie mit Kameramann Pawel Pogorzelski (»Midsommar«) in grelle Neonlichter taucht und so, untermalt mit einem pulsierenden EBM-Soundtrack, eine zunehmend elektrisierende Atmosphäre schafft. Wie schon in ihren ersten Filmen besteht auch die Welt von »Mona Lisa« aus einer hochstilisierten Popästhetik, die mit Genreversatzstücken, amerikanischer Trashkultur und gesellschaftspolitischen Andeutungen spielt. Dabei spielen die Handlungsorte mit ihren Charakteristika eine prominente Rolle, wie hier das schwüle Chaos von New Orleans, sie prägen den Eindruck ihrer Filme mehr als die oft spärlichen Dialoge oder die Psychologie der Figuren. 

Doch auch wenn ihr unbedingter Stil­wille bisweilen überhandnimmt, hat »Mona Lisa and the Blood Moon« mehr als nur Schauwerte zu bieten. Er ist ein feministisches Indie-Gothic-Fantasyspektakel mit einer irritierend ambivalenten Antiheldin, deren Superkräfte noch das Normalste an ihr sind. Aus dieser Mona Lisa wird man, wie aus ihrem Namensvorbild, nicht schlau, womöglich nicht einmal sie selbst. 

Nur Bonnies 11-jähriger Sohn (Evan Whitten), der sich nicht zu Unrecht von seiner umtriebigen Mutter vernachlässigt fühlt, erkennt in dem merkwürdigen Alien-Mädchen eine Seelenverwandte. Hier gibt es kurz so etwas wie menschliche Verbundenheit. Doch ein allzu glückliches Ende vergönnt Amirpour den Figuren auch diesmal nicht. Wie ein einsamer Westernheld in den Sonnenuntergang reitet, lässt sie ihre fantastische Heroine in Richtung Blutmond fliegen, weiter auf der Suche nach einem Platz in dieser Welt. Alles ist möglich.

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