Kritik zu Mein fremdes Land
Als Kind zur Adoption freigegeben, macht sich ein gebürtiger Bolivianer mit 30 Jahren auf die dokumentierte Suche nach seiner leiblichen Mutter
Die Suche nach der Herkunft und familiären Wurzeln ist ein Urthema des Erzählens. Ebenso das in diversen TV-Formaten betriebene Projekt der sentimentalen Zusammenführung getrennter Familienglieder. Irgendwo dazwischen liegt dieser Film über einen als Kleinkind adoptierten jungen Mann aus der saturierten schwäbischen Mittelschicht, der sich Anfang seiner dreißiger Jahre auf die Suche nach der leiblichen Mutter macht. Die hatte den Säugling einst aus materieller Not in einem Kinderheim im bolivianischen Sucre abgegeben. Von dort hatte das Ehepaar Sosnowski 1988 über die Vermittlung einer Entwicklungshelferin den kränkelnden Jungen in einem karitativem Impuls zu den drei leiblichen Kindern aufgenommen.
So erzählen die Sosnowskis in dem Film, den Johannes Preuss und Marius Brüning über den zu Manuel umgetauften José Noe Estrada gemacht haben. Er setzt ein mit Manuels Stimme aus dem Off, die einleitend Motivation und Anliegen erklärt und sich auch später mit Selbstreflexionen zu Wort meldet: Lange habe er als Kind und Jugendlicher seine bolivianische Herkunft verdrängt. Doch dann änderte sich das gründlich. Und es kam der Drang, auch diesen Teil seiner Identität zu erfahren: »Es hat einunddreißig Jahre gedauert, bis ich im Kopf so frei war, (...) diese Reise zu machen.«
Die Suche selbst gestaltet sich mit Hilfe von Google Maps, Skype und einer bolivianischen Vermittlerin einfach, so dass Manuel schon bald mit einem Begleiter nach Bolivien aufbricht und zur Hälfte der Filmzeit im kargen Hochland bei Potosí erstmals der Mutter begegnet. Die vom Leben gezeichnete schmächtige Frau lebt in ärmlichsten Verhältnissen als Kleinbäuerin mit einem Enkel, einer Herde Ziegen und einem Schwein, aber auf eigenem Land mit Birnen- und Pfirsichbäumen.
Das anrührende Wiedersehen ist nur eines von vielen tränenreichen Szenen des von starken Gefühlen getriebenen Films. Später kommen auch noch Geschwister ins Spiel, vor allem aber neue Varianten von für sicher gehaltenen Wahrheiten. Und für José/Manuel beginnen mit dem neuen Mutterglück auch neue unauflösbare Dramen aus der Kollision der parallelen Welten in Bolivien und Deutschland.
Angesichts dieser starken Grundemotionalität ist es unverständlich, dass die Filmemacher ihre Geschichte immer wieder durch Musikuntermalung und Inszenierung künstlich pushen. Am krassesten in einer Parallelmontage von Manuels zunehmend betroffen aussehendem Gesicht in Nahaufnahme mit schnell geschnittenen juristischen Dokumenten aus dem Adoptionsverfahren, in denen einige Worte wie »Kindesverzicht« suggestiv fett und größer gesetzt sind. Trotz solch manipulativer Effekthascherei und vieler aufwendiger Drohnenflüge wurde der Film von der Jury des Baden-Württembergischen Filmpreises für seine »leisen Töne« und »genaues Beobachten« ausgezeichnet. Schade auch, dass neben dem peniblen Auflisten jedes Familienmitglieds am Ende im ganzen Film weder dessen Entstehungskontext noch die Rolle der beiden Reisebegleiter (Lourdes und Diego) thematisiert wird.
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