Kritik zu A Man can make a Difference
Ullabritt Horn porträtiert den 1920 geborenen Juraprofessor Benjamin Ferencz und vergegenwärtigt in ihrem Dokumentarfilm die Bedeutung der Nürnberger Prozesse für das heutige Völkerrecht
Bei den Nürnberger Prozessen wurden nicht nur Hauptverantwortliche der Hitlerdiktatur wie Hermann Göring und Joachim von Ribbentrop vor Gericht gestellt. Ebenso wichtig waren die zwölf Nachfolgeverfahren gegen Industrielle, Ärzte, Juristen und hochrangige Militärs, die den Mechanismus des Massenmordens in Gang hielten.
In einem dieser Verfahren, dem sogenannten »Einsatzgruppenprozess« von 1947/48, wurde auch Paul Blobel angeklagt. Der SS-Offizier verantwortete unter anderem das Massaker von Babij Jar, bei dem in zwei Tagen 33 000 Juden massakriert wurden. Von den heute kaum noch vorstellbaren Problemen, vor die sich die Justiz seinerzeit gestellt sah, erzählt Ullabrit Horns Porträt über Benjamin Ferencz, der in diesem Verfahren als Chefankläger fungierte. Ihr Dokumentarfilm schildert die bewegende Lebensgeschichte des aus Rumänien stammenden Juden. Vor allem aber verdeutlicht er, warum dieser unscheinbar wirkende Jurist »den Unterschied« ausmacht, auf den der Filmtitel verweist. Vor der Kamera entwickelt der kleinwüchsige Mann, der für die Justiz Großartiges leistete, eine unglaubliche Präsenz. Lebhaft und mit spürbarer Leidenschaft erzählt der heute 95-Jährige, wie seine Eltern nach New York emigrierten, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, ein Stipendium erhielt und sein Jura-Examen mit Auszeichnung bestand. Aufgrund seines Talents kommandierte man den zunächst in einer Flak-Einheit dienenden, damals 27-jährigen US-Soldaten dazu ab, Beweismaterial für Kriegsverbrechen der Deutschen zu sammeln.
Aber: Was genau heißt eigentlich Kriegsverbrechen? Da dieser Begriff noch nicht scharf umrissen war, studierte Ferencz stapelweise Leitzordner aus dem Gestapo-Archiv. Die Zahl der protokollierten Morde wurde immer größer, irgendwann hörte er zu zählen auf. Die lebendigen Schilderungen dieses Zeitzeugen, der eigenhändig Leichen ausgrub, sind nicht nur emotional mitreißend. Seine faszinierende geistige Beweglichkeit vergegenwärtigt die eigentliche Bedeutung der Nürnberger Prozesse. Vor den Schranken dieses Gerichts verteidigten Nazis sich bekanntlich nach rechtsstaatlichen Prinzipien: Unschuldige Zivilisten hätten sie im Glauben erschossen, dass sie damit einen souveränen Staat, das deutsche Reich, beschützten: »Putativnotwehr« nennen das Juristen.
Man spürt, dass das unhaltbar ist. Aber spüren allein reicht nicht, denn es gibt kein »gefühltes Recht«. Jedes Hollywood-Justizdrama verdeutlicht, dass Gerechtigkeit eine Sache der peniblen Formulierung ist. Erst dank einer vehementen Anstrengung des Begriffs, die der Film lebhaft vor Augen führt, ist die Aburteilung von Nazi-Gräueltätern kein willkürlicher Racheakt mehr, sondern ein Tatbestand. In einem beeindruckenden Bogen von den Völkermorden in Ruanda und Bosnien bis hin zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs verdeutlicht der Film, dass Ferencz ein Wegbereiter des heute angewandten Völkerrechts ist. Historie wird so auf eine selten gesehene Weise lebendig.
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