Kritik zu Luanas Schwur
Blutrache, Schwurjungfrau, arrangierte Ehen: Bujar Alimani porträtiert eine archaische Gesellschaft in Nordalbanien, in der Frauen nur Freiheit erlangen können, indem sie Teil der patriarchalen Strukturen werden – zu einem hohen Preis
Es gibt Liebesgeschichten, die dauern ein Leben lang und sind doch unmöglich. Und es gibt Gesellschaften, aus deren patriarchalen, archaischen Strukturen sich Frauen nur befreien können, indem sie selbst Teil davon werden. Der albanische Regisseur Bujar Alimani erzählt in seinem berührend-bewegenden Drama von einer solchen Liebe zwischen Luana, Tochter eines im Dorf angesehenen Bauern in den albanischen Alpen, und Agim, dem Sohn einer aus der Stadt geflohenen Akademikerfamilie. Beide Familien leiden unter den Repressionen des kommunistischen Diktators Enver Hoxha, versuchen, sich ihnen zu entziehen. Die Dorfgemeinschaft tut dies, indem sie dem seit Jahrhunderten geltenden und mit Religion vermengten Gesetzeswerk Kanun folgt. Es verdammt die Frauen zur Unfreiheit. Agims Familie wagt irgendwann die Flucht über Jugoslawien nach Deutschland.
Drehbuchautorin Katja Kittendorf und Regisseur Alimani lassen die Geschichte Ende der 1950er Jahre beginnen. Luana ist ein freiheitsliebendes, selbstbewusstes Mädchen, das sich im Spiel mit den Jungen misst. Eine Unverfrorenheit, laut den Regeln des Kanun. Agim springt Luana bei, als die Jungen ihr den Sieg verwehren. Es ist die Eingangsszene von »Luanas Schwur«, der sich in verschiedene Teile gliedern lässt: Luanas Jugend, in der sich die zarte Liebesgeschichte zwischen ihr und Agim entwickelt, der ihr das Lesen beibringt, als sie längst einem anderen Mann versprochen ist. Voller Poesie lässt Alimani die beiden sich annähern, nicht nur in ihren Gefühlen fühlen sie sich verbunden, sondern auch in ihrem Intellekt, ihrem Freiheitsdrang. In der Verborgenheit der Natur, die Kameramann Jörg Widmer in ihrer wild-betörenden Schönheit und zugleich gnadenlos-feindlichen Rauheit immer wieder einfängt.
Im zweiten Teil dann treibt Luanas Familie die arrangierte Ehe voran, da sie hinter die Freundschaft Luanas gekommen ist. Doch auch ihr künftiger Ehemann hat von der verbotenen Verbindung mit dem Akademikerkind Agim erfahren und versucht, seine Macht über sie auszuspielen, bedrängt sie und zweifelt dann öffentlich ihre Jungfräulichkeit an. Während eines Streits mit Luanas Vater kommt es zu einem tödlichen Eklat. Luana kann und will sich der Ehe mit dem Mörder ihres Vaters nicht unterwerfen und muss doch die Familienehre retten. Sie entscheidet sich dazu, fortan als Burrnesha, Schwurjungfau, also als Mann zu leben, mit allen Rechten und auch Pflichten. Die Blutrache gehört dazu. Es ist der dritte Teil, der der Selbstermächtigung.
Kittendorf und Alimani porträtieren eine Gemeinschaft, die fest mit ihren Traditionen verwachsen ist, in der Mütter, Schwestern und Tanten diese weiterleben. Sie sprechen nicht über Erniedrigungen, Verletzungen, Träume. Überhaupt wird in »Luanas Schwur« wenig gesprochen. Rina Krasniqi legt mit zurückhaltender, fragiler Kraft all den Schmerz, die Stärke und zarte Verletzlichkeit in ihre Figur. Dunkle Bilder im engen Haus der Familie dominieren. »Luanas Schwur« ist ein bedrückender Film und doch voller Poesie, der von einer Gesellschaft erzählt, die vielen fremd ist und die in Teilen bis heute weiterlebt.
Kommentare
Luanas Schwur
Im Albanien der 50er Jahre herrschte noch der Diktator Enver Hoxha. Die einheimischen Bauern wissen, dass sie auf die Kommunisten aufpassen müssen, denn sie leben in einer traditionell atavistischen Gesellschaft nach einem Ehrenkodex (Kahun). Eheschließungen machen die Clanführer unter sich aus.
Da verliebt sich die junge Luana (jetzt Shkurte Sylejmani) in den Zugereisten Agim (Igli Zarka), der der Analphabetin voller Liebe zugetan ist und ihr auch noch Lesen und Schreiben beibringt. Die Clanführer handeln indessen aber Luanas Ehe mit Flamur aus, einem gutaussehenden und wohlhabenden und einer, der von hier ist. Als Flamur in der Brautphase Luana (jetzt Rina Krasniqi) zu vergewaltigen versucht, greift ihr Vater ein und wird von Flamur erschossen.
Wie der Mord gerechtfertigt wird und der Bräutigam trotz alledem auf der Ehe bestehen kann, liegt jenseits heutiger Vorstellungen. Luana kennt Kahun gemäß einen Ausweg. Sie
lebt als Schwurjungfrau ohne Mann. Agim versucht sie zu überreden mit ihm und seinen Eltern nach Deutschland zu fliehen. So bleibt nur noch eine Aufgabe für die männliche Luana: Blutrache, bevor Vaters Blut trocken ist.
Die weiteren Irrungen und Wirrungen können wir nur überrascht und verwundert nachvollziehen. Der Rachegedanke wird auf Kinder und Enkel übertragen.
Wie Regisseur Bujar Alimani die Mörderkette beendet, wird spannend erzählt. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen und wir erleben hier eine Gesellschaft, wie aus der Zeit gefallen. Sehenswert!
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