Kritik zu Lebanon

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Mit Samuel Maoz' Kriegsfilm gibt es nach »Beaufort« von Joseph Cedar und »Waltz with Bashir« von Ari Folman nun bereits den dritten Selbsterfahrungsbericht über den ersten Libanonkrieg 1982

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Das Sonnenblumenfeld könnte überall stehen. Es reckt sich dem strahlend blauen Himmel entgegen und verheißt nichts als Glück, Friede und Wohlergehen. Doch die Idylle täuscht. Im nächsten Augenblick könnte ein Panzer seine Schneise in die himmlische Ordnung schlagen, genauso wie derjenige, der sich gleich darauf erfolgreich durch die Bananenplantage kämpfen wird, dessen stählerne Haut unverwundbar scheint. Auch das täuscht. Der Panzer, der gerade in Israel als Wunderwaffe verehrt wird, die »heilige Kuh« der israelischen Armee, erweist sich in Wirklichkeit als eine tödliche Falle. Lange wurde darüber diskutiert, warum es im ersten Libanonkrieg 1982, erneut im zweiten im Jahr 2006 so hohe Verluste bei den Panzereinsätzen gab. Verantwortlich wurden dafür vor allem unerfahrene oder mangelhaft ausgebildete Soldaten gemacht. Anders ausgedrückt: Die jungen Rekruten wurden regelrecht »verheizt«. In diesem Punkt ist sich Lebanon vollkommen einig mit »Beaufort« und »Waltz with Bashir«.

Als 1994 der Film »Tsahal« von Claude Lanzmann über die israelische Armee herauskam, nach »Warum Israel« und »Shoah« der letzte Teil seiner Trilogie über die Juden, hagelte es Proteste wegen der angeblichen Verherrlichung der Armee und der unverhüllten Liebeserklärung an den eigens für israelische Bedürfnisse entwickelten Panzer »Merkava«. Lanzmanns Films steht noch deutlich unter dem Zeichen der Wiederaneignung der Gewalt, des Mythos vom Sabre, des »neuen Juden«, der inzwischen von der Klage um eine »verlorene Jugend« abgelöst wurde. Diesen langwierigen Prozess sollte man bei den neuen Filmen, die ihre Absage an den Traum vom gerechten Krieg so nachhaltig vertreten, im Hinterkopf behalten.

»Lebanon« ist der Bericht eines Augenzeugen. Hinter dem Panzerschützen Shmulik verbirgt sich Regisseur Samuel Maoz, der mit Kriegsbeginn am 6. Juni 1982 um 17 Uhr einen Panzer bestieg und mit der Standardcrew von insgesamt vier Soldaten auf ein Himmelfahrtskommando geschickt wurde. So sieht es aus der Distanz aus. Aus der Nähe, vor Ort, sieht und hört man, wie blutjunge Soldaten, die bisher nur auf Fässer geschossen haben, mit einem Mal durchs Fadenkreuz eines Zielfernrohrs geradewegs ins Auge des Feindes blicken. Und gar nicht anders können, als den Befehl zu verweigern. Aber dann zielt das feindliche Feuer mitten ins eigene Gesicht, dann schickt ein getroffenes Maultier seinen brechenden Blick durchs Panzerglas, dann enthüllt die als menschliches Schutzschild benutzte Geisel ihre Todesangst, dann fällt der erste Gnadenschuss des Kommandanten. Das alles spielt sich wie ein Horrorfilm vor dem Auge des Schützen ab, der beim zweiten Mal dann doch abdrückt – und den Falschen erwischt. Panzergefechte sind Nahkampf, flankiert von der Bodentruppe, die nicht ins eiserne Gefängnis eingesperrt ist, sich den engen Raum nicht noch – wie in diesem Fall – mit einem Toten und einem Gefangenen teilen muss.

Der Filmpanzer wurde im Studio nachgebaut und fühlt sich vielleicht noch klaustrophobischer als die Wirklichkeit an. Dämpfiger Gestank von Schwitzwasser, Essensresten, Angstschweiß, Blut und Tränen scheint förmlich durch die Leinwand zu sickern, auch die Geschosse scheinen direkt ins Zuschauerauge zu fliegen, stockende Gespräche, schwergehender Atem, die wie von einem andern Stern kommenden Funksignale oder Totenstille – all das vermischt sich zur perfekten Simulation eines Kriegserlebnisses, das man als Zuschauer – so wie die Besatzung auch – irgendwie hinter sich bringen muss. »Es ist die Geschichte einer Seele, die blutet«, sagt Samuel Maoz, der wie seine Vorgänger Cedar und Folman über zwanzig Jahre gebraucht hat, um von seinen Kriegserlebnissen berichten zu können. Er führt den Zuschauer durch die Hölle seiner eigenen Erfahrung in einem fehlgeleiteten Panzer, der auf syrisches Terrain gerät und zuletzt noch von einer Rakete getroffen wird und – wie ein Wunder – plötzlich in diesem van Gogh'schen Sonnenblumenfeld zum Stillstand kommt. Das absurde Bild brennt sich wie eine Metapher dafür ins Auge, mit welch unsinnigen Opfern dieses wunderbare Land der blühenden Gärten und Felder erkämpft wurde. Aber es ist keine Ruhe nach dem Sturm – es ist die Ruhe vor dem Sturm.

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