Kritik zu La Pivellina
Impressionen vom Rand der Gesellschaft: In ihrem ersten Spielfilm nach zwei Dokumentationen erzählen Tizza Covi und Rainer Frimmel von einem Findelkind, das Aufnahme bei einer Zirkusfamilie in einem römischen Vorort findet
Wie die zweijährige Asia in den kleinen Park gekommen ist, weiß niemand. Auf dem Zettel, den die resolute Patti in ihrer Jackentasche findet, steht nur, man möge sich um sie kümmern, sie werde bald wieder abgeholt. Patti mit den knallroten Haaren und ihr Mann Walter haben mit ihrem Kleinzirkus nebenan ihr Winterquartier aufgeschlagen. Die warmherzige Frau weiß, dass das Kind jetzt nicht die Polizei und das Jugendamt braucht, sondern trockene Windeln, etwas zu essen und seinen Mittagsschlaf.
Mit dieser Exposition ist die Geschichte des ersten Spielfilms von Tizza Covi und Rainer Frimmel (die sich mit »Babooska«, einer Dokumentation über das Kleinzirkusmilieu, einen Namen erworben haben) auch fast schon zu Ende erzählt. Eine Handlung oder eine Entwicklung gibt es nicht, es sei denn die, dass das Zirkuspaar und der elternlose Nachbarsjunge Tairo das Kind ins Herz schließen und den Tag fürchten, an dem die unbekannte Mutter es wieder abholen wird.
Dieser weitgehende Verzicht auf ein narratives Gerüst ist mutig. Covi und Frimmel setzen damit einen Kontrapunkt zu den pseudodokumentarischen Prekariats-Soaps privater Fernsehsender und verlassen sich ausschließlich auf die unaufdringliche Faszination des Alltäglichen. Der Film spielt in einem römischen Vorort in einer tristen Winterwoche. Auf dem Areal, wo sich Patti und Walter niedergelassen haben, leben Menschen, die kaum Verbindung zur bürgerlichen Welt außerhalb haben. Sie bilden ein Soziotop, in dem Solidarität und spontane Hilfsbereitschaft überlebensnotwendig sind. Und so nimmt man dem Film auch die dramaturgische Prämisse ab, dass »la Pivellina«, das Grünschnäbelchen, nicht gleich bei der Polizei abgeliefert, sondern in die Kleinfamilie aufgenommen wird. Verstärkt wird der authentische Grundzug des Films dadurch, dass die Darsteller sich selbst spielen und in ihrem gewohnten Umfeld agieren. Sie tun dies mit einer für dieses Genre ungewöhnlichen Natürlichkeit und Unverstelltheit. Nur Patrizia Gerardi und Walter Saabel bringen eine gewisse Erfahrung mit, sie standen bereits in »Babooska« (2005) vor der Kamera des Regiepaares.
Die ästhetischen Mittel erinnern an die Filmsprache der belgischen Brüder Dardenne, auch wenn bei diesen das erzählerische Moment stärker im Vordergrund steht. Auch Covi und Frimmel mischen dokumentarische und fiktionale Teile, die Dialoge wirken improvisiert, auf Musik wird verzichtet. Die Handkamera bewegt sich schon wegen der räumlichen Enge nahe an den Protagonisten und nimmt den Zuschauer mit hinein in das Milieu, das auch latent harte Züge hat. In der stärksten Szene des Films führt Walter den halbwüchsigen Tairo, der sich mit einem anderen Jungen prügeln will, in Technik und Philosophie des Boxens ein: Erfolgreich sein könne dabei nur, wer bereit sei, dem anderen Schmerzen zuzufügen. Der Film ist reich an solchen Miniaturen, deren Mittelpunkt meist das kleine Mädchen ein im Übrigen sehr pflegeleichtes Kind und die durch ihre bloße Anwesenheit ausgelösten Gefühle bilden, alltäglich und zauberhaft zugleich.
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