Kritik zu The Innocents
Von wegen unschuldig – Kindern war im Horrorfilm noch nie zu trauen. Eskil Vogt siedelt seinen übernatürlichen Thriller unter ein paar Außenseitern in einer scheinbar friedlichen Hochhaussiedlung in träger Ferienstimmung an
Ida und Anna sind neu im Block. Der Vater hat den Job gewechselt, und die Familie musste umziehen. Es ist Sommer, und die meisten Kinder, die in den etwas anonym wirkenden Hochhäusern wohnen, sind noch in den Ferien. Trägheit liegt über der weitgehend leeren Anlage, die an einen Wald angrenzt und an eine Landstraße.
Ida ist neun und von der Situation genervt; vor allem weil sie sich nun wieder verstärkt um ihre Schwester Anna kümmern muss, dabei ist die doch eigentlich älter. Manchmal macht Ida sich einen sadistischen Spaß daraus, Anna zu quälen, indem sie sie zwickt oder Glasscherben in ihre Schuhe steckt. Wohl wissend, dass Anna sie nicht anklagen wird, denn Anna spricht nicht, sie ist Autistin. Als solche gerät sie leicht aus der Fassung, wenn man ihre Kreise stört oder etwas ungewohnt ist. So wie eben jetzt die neue Umgebung. Also soll Ida mit Anna auf den Spielplatz gehen und sie dort nicht alleinlassen. Was sie dann aber natürlich doch tut.
So trifft Ida auf Ben, den etwa gleichaltrigen Jungen, der allein unterwegs ist und ihr im Wald etwas zeigt: Er kann Gegenstände mit der Kraft seiner Gedanken bewegen. Und so trifft Anna auf Aisha, die etwas jünger ist als Ida und die sich zu dem »großen« Mädchen in die Sandkiste setzt und mit ihr redet. Sie versteht, was Anna sagt, meint sie später zu Ida, dabei war von Anna außer den üblichen gutturalen Lauten nichts zu hören.
Telekinese? Telepathie? Übersinnlich begabte Kinder? Außenseiter jedenfalls, deren überschaubarer Kosmos von Furcht und Schrecken bestimmt wird und die sich nun zusammentun – denn gemeinsam ist man stark. Oder etwa nicht? Stärkt der Zusammenschluss womöglich nur das Böse, das im Wald sitzt, die Kinder benutzt und seinen schwarzen Schatten zu Beginn schon warf?
Die Fragen, die der norwegische Filmemacher und Drehbuchautor Eskil Vogt in »The Innocents« aufwirft, kommen schnell und sind zahlreich. Doch Vogt hat es in seinem Zweitling nicht eilig, sie zu beantworten. Anstatt an Auf- oder Erklärung des rätselhaften Geschehens arbeitet er lieber daran, das Gefühl der Beunruhigung, das sich bereits zu Beginn einstellte, stetig wachsen zu lassen.
Unterstützt wird er dabei zum einen von einem gefinkelten, mit allen Schattierungen latenter Gefahr spielenden Sound Design, für das Gisle Tveito und Gustaf Berger mit einem europäischen Filmpreis ausgezeichnet worden sind. Und zum anderen von vier herausragenden KinderschauspielerInnen, denen einiges abverlangt wird: Rakel Lenora Fløttum (Ida), Alva Brynsmo Ramstad (Anna), Sam Ashraf (Ben) und Mina Yasmin Bremseth Asheim (Aisha) tauchen tief in dunkle Gefilde und heben diese schwarze Perle des europäischen Horrorkinos empor. Kindern war in diesem Genre schließlich noch nie zu trauen, das ist eine alte Faustregel, der der talentierte Nachwuchs hier in aller Form alle Ehre erweist. Und so scheint wenigstens dieser kleine Teil Zukunft gesichert.
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