Kritik zu Herr Wichmann aus der dritten Reihe

© Piffl

2012
Original-Titel: 
Herr Wichmann aus der dritten Reihe
Filmstart in Deutschland: 
06.09.2012
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Die Karriere eines brandenburgischen CDU-Abgeordneten als Langzeitstudie: Acht Jahre nach Herr Wichmann von der CDU hat Andreas Dresen den Politiker erneut bei seiner Arbeit begleitet

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Der Brandenburger Henryk Wichmann sitzt inzwischen, wie im Titel beschrieben, in der dritten Reihe des Landtags; als Nachrücker hat er den letzten Platz seiner Fraktion erwischt. Man befindet sich also nicht gerade im Zentrum der Macht – dort, wo Politik mit heißem Eisen geschmiedet wird. Wichmann ist nicht einmal ein Ausnahmepolitiker. Von der dritten Reihe aus kommentiert er die Politik der Landesregierung, pöbelt eine Kontrahentin aus der SPD an und unterhält sich während einer Abstimmung mit einem Parteikollegen über eine Autoreparatur. Er muss nur wissen, wann er die Hand zu heben hat. Dresen beobachtet die Mühlen der Politikarbeit ohne Häme. Kein Wunder, denn Henryk Wichmann entspricht so gar nicht dem Klischee des Politikers, der Diäten einstreicht und seine Zeit im Kabinett absitzt. In Herr Wichmann aus der dritten Reihe begleitet Dresen ihn dahin, wo es wehtut und die Kräfte der Demokratie knirschen.

Seine erste Amtshandlung besteht darin, ein drittes Bürgerbüro zu eröffnen, damit er für die Menschen in seinem Wahlkreis erreichbar ist. »Sonst hört sich ja keiner an, was die Leute für Probleme haben«, erklärt er vor der Kamera. Und was für Probleme die Leute so haben: Wichmann besucht ein Kaffeekränzchen und wiegelt die ausländerfeindlichen Vorurteile der alten Damen geschickt mit der Haltung seiner Partei in Einwanderungsfragen ab, schlichtet zwischen Naturschützern und Grundbesitzern in der Uckermark und kämpft gegen eine illegale Mülldeponie, deren Existenz seit Jahren bekannt ist. Das Erstaunliche daran ist, mit welcher Geduld er sich des Bürgerbegehrens nach zehn Jahren Kommunalpolitik noch annimmt. In Herr Wichmann von der CDU, damals war er gerade Mitte zwanzig, blitzte hin und wieder noch Überheblichkeit durch. Inzwischen versteht er es, selbst den kleinsten Triumph auszukosten, wenn es zum Beispiel endlich klappt, dass sich auf einem Bahnsteig im Brandenburger Hinterland die Zugtüren öffnen, damit die Kinder auf dem Weg zur Schule umsteigen können. So zeigt Herr Wichmann aus der dritten Reihe Politik auf unterstem Grassroots-Level, was mitunter noch zermürbender ist als die Parlamentsdebatten auf Phoenix. Und er beschreibt auf verblüffende, wenn auch keineswegs überraschende Weise, wie Politik im Alltag funktioniert: nicht als abstraktes Konzept, sondern als zähes Ringen um jeden Zentimeter, notfalls auch fraktionsübergreifend. Dem Ministerpräsidenten leiert er die Zusage für eine jahrelang umstrittene Genehmigung während eines einminütigen Small Talks im Foyer aus dem Ärmel.

Dresen beschreitet dabei einen schmalen Grat zwischen Absurdität und komischer Tragik. Henryk Wichmann ist ein Lokalpolitiker durch und durch, seine Feindbilder werden auch in zwanzig Jahren noch der Schreiadler und die Bartmeise sein, die das Wachstum der strukturschwachen Region verhindern. Aus solchen politischen Mythen schöpft er neue Motivation. Dass genau solche Mythen aber auch ein politisches Selbstverständnis konstituieren, daran lässt Herr Wichmann aus der dritten Reihe keinen Zweifel.

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