Kritik zu Henri 4
Die teuerste Produktion Europas lässt den Humanisten schlechthin, Henri IV., in den Krieg gegen religiösen Fundamentalismus ziehen und verliert sich in verwirrter Maßlosigkeit
Fünf Mal wird Henri IV. den Glauben wechseln. Um für Frieden zu sorgen, seine Macht zu sichern, das Volk zu beruhigen. Seine Überzeugungen sind jedoch alles andere als wechselwählerisch. Henri IV. ist ein Humanist und damit seiner Zeit weit voraus. Toleranz, Religionsfreiheit und die Sorge um das Wohlergehen auch der niederen Stände prägen seinen Führungsstil. So zumindest hat ihn Heinrich Mann aus dem französischen Exil in zwei Bänden zum antifaschistischen Helden umgeschrieben. Henri IV. – ein historischer Popstar, den man in viele Richtung ausleuchten und wieder auf die Weltbühne holen kann. In Zeiten wachsenden religiösen Fanatismus allemal.
Also Vorhang auf. Wir befinden uns im Frankreich des 16. Jahrhunderts, inmitten von Glaubenskriegen, den Intrigen der Katharina de Medici und eben mitten in einer europäischen Großproduktion. Jeder einzelnen Einstellung sieht man an, wie viel Aufwand und Arbeit sie gekostet hat. Jeder Satz, jede Kamerabewegung ist auf Überwältigung angelegt. Aus jedem Bild spricht der unbedingte Wille von Regie (Jo Baier) und Produktion (Regina Ziegler), Europa in einem poppigen Stück voll Sex und Blut endlich den »Henri 4« (Julien Boisselier) zu geben, an dem sich alle Nachfolger, sollte es sie geben, zu messen haben.
Allein die Bartholomäusnacht, in der das Blut der Hugenotten über die Türschwellen bis in die Schminktöpfe von Katharina de Medicis (Hannelore Hoger) schwulem Hätschelkind D'Anjou (Devid Striesow) suppt. Die Lust, das Morden und der Machtrausch. Trotz seiner 154 Minuten hat »Henri 4« keine Zeit für Figurenpsychologie oder gar ernstzunehmende Sozialgeschichte. Der Film arbeitet lieber mit holzschnittartigen Antagonismen und reduziert den Konflikt zwischen Adel und Bauern auf griffige Konstellationen. Schon der kleine Henri wühlt gern im Dreck und trickst jeden aus, wenn es darum geht, einem hübschen Bauernmädchen unter den Rock zu schauen. Mit jeder beschlafenen Erntearbeiterin beweist Henri seine Volksnähe und koitiert so symbolisch die gute Erde der Heimat. Während der machtgeilen Familie der Medici dekadentes Siechtum in jede Pore eingeschrieben ist. Da enthemmt sich Ulrich Noethen als Karl IX. zum Rampenwahnsinn. Die Schwester Margot (Armelle Deutsch) bleibt die geile Hure, die sie immer schon war
»Henri 4« schafft mit all seiner kalkulierten Wuchtigkeit einen verquarzten Blut-und-Boden-Mythos aus Schweiß, Sperma und Blut. Ein rustikales Idyll, bevölkert von derb-sinnlichen, aufrecht-schlichten Landarbeitern und ideologisch unterstützt von einem König, der sich mit dem Stallgeruch seiner Untergebenen parfümiert, um als guter Mensch durchzugehen. Mit einem charismatischen Humanisten hat das nichts zu tun. Vielleicht liegt das Dilemma in der Unmöglichkeit, einen Film mit humanistisch-protestantischer Botschaft mit einem für europäische Verhältnisse gigantischen Budget (18 Millionen) herstellen zu können. In einer Produktionsweise also, der es naturgemäß um nichts anderes gehen kann als um Massenwirksamkeit. »Henri 4« ist jedenfalls ein einziger überdimensionaler Widerspruch in sich selbst.
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