Kritik zu Fliegende Fische müssen ins Meer
Eine schweizerisch-deutsche »Dramödie« über die unfähigste Mutter der Welt und ihre leidgeprüfte Tochter, die sie zur Vernunft bringen will – und ihren eigenen Weg finden muss
Der beste Grund, sich diesen Film anzusehen, ist ohne Frage Meret Becker. Wie sie Roberta verkörpert, alleinerziehende Mutter dreier Kinder, die aber selbst ein großer Kindskopf ist, ist so vergnüglich wie berührend: Eine hemmungslose Exaltiertheit ist ihr natürlicher Aggregatzustand, und dies drückt sie auch in Kleidung und Schminke aus – in ihrem Heimatdorf am Hochrhein versteht man ihren Stil wohl als schlampig aufgedonnert. Allzu gerne trinkt sie über den Durst und macht dann Dummheiten. So lässt sie sich ständig auf die falschen Männer ein, was zu heftig schwankenden Gemütslagen führt. Wie soll man sich da noch um die Kinder kümmern? Ihr unkontrolliertes Oszillieren zwischen Vampallüren, Girliesüßigkeit und tiefer Verunsicherung porträtiert Becker wunderbar natürlich und charmant. So charmant, dass das Urteil ihrer ältesten Tochter, der 15-jährigen Nana (Elisa Schlott), zugleich Erzählerin des Films, doch ein wenig zu hart wirkt: »Roberta ist die Arschkarte unter den Müttern.«
In dieser an Überzeichnungen reichen und bonbonbunten Mischung aus Mutter- Tochter-Drama und provinzieller Coming-of- Age-Komödie meint es aber niemand wirklich böse. Auch die Kinder dieser unglückseligen Mutter wollen ihr helfen und verhindern, dass das Jugendamt die dysfunktionale Familie auseinanderreißt: Ein Mann soll her, der sie zur Ruhe und Vernunft bringt. Die Auswahl in dem verschlafenen Ort ist nicht allzu groß. Schnell ist der ideale Partner ausgemacht, der neue Arzt, gespielt von Barnaby Metschurat, ein so patenter wie adretter junger Mann – so patent und adrett allerdings, dass sich Nana selbst in ihn verliebt.
Die folgenden Konflikte und Verwicklungen, mit so mancher Karikatur aus dem Dorfpersonal gespickt, werden durchaus liebevoll geschildert, auch vermag die Autorin und Regisseurin Güzin Kar über weite Strecken die überdrehten und ernsten Elemente auszubalancieren und pointierte Dialoge punktgenau ins Ziel zu steuern. Doch auf der visuellen Ebene erreichen die Fliegenden Fische nur geringe Flughöhe, da plätschert manches im Fahrwasser skurriler Vorbilder dahin. Der Gegensatz zwischen dem Spießertum des Dorfes und der Anarchie Robertas, die ihre Mitbürger letztlich inspiriert und infiziert, wird etwa wenig originell über Kostümfarben erzählt. Für Nanas Träume vom weiten Meer, wo sie Hochseekapitänin werden will, findet der Film überhaupt keine Bilder – und damit keine Sprache, die Nanas Sehnsucht vermitteln würde. So erinnert der Film in seiner letztlich konventionellen Gestaltung, die alles Wichtige über Dialoge verhandelt, dann doch eher an ein Fernsehprodukt.
Besonders bedauerlich an jenen Dialogen ist, dass ihnen für die deutsche Verleihfassung jeder Hauch von schwyzerdütschem Dialekt ausgetrieben wurde. Jeder in diesem Dorf spricht lupenreines Hochdeutsch – was der Atmosphäre etwas seltsam Steriles verleiht. Die Figuren und der Ort könnten nämlich gerade im Kontrast zu den vielen bewusst künstlichen Elementen etwas mehr Erdung gebrauchen. Nur einer Figur kann all das überhaupt nichts anhaben: Meret Beckers Roberta.
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