Kritik zu Five Fingers for Marseilles
Kommt ein Fremder in eine Stadt … Den südafrikanischen Filmemachern Michael Matthews und Sean Drummond gelingt es, eine scharfe Analyse der Gegenwart ihrer Heimat in einem veritablen Western aufgehen zu lassen
Der Klassiker: Ein Fremder ohne Namen kommt in eine Stadt, die unter den Schikanen einer Horde Übeltäter ächzt. Und obwohl der Fremde sich eigentlich zunächst heraushalten will, nimmt er schließlich doch den schier aussichtslos scheinenden Kampf gegen das Böse auf und sorgt für Ordnung. Wenn er dann noch Glück hat, reitet er am Ende in den Sonnenuntergang davon. Unzählige Western funktionieren so; auch »Five Fingers for Marseilles« orientiert sich an diesem narrativen Muster und ist insofern dem traditionsreichen Genre zuzuzählen. Das mit diesem Film einmal mehr seine Adaptionsfähigkeit beweist, ist die Geschichte doch im provinziellen Südafrika vor und nach dem Ende der Apartheid angesiedelt und lässt sich auch als Allegorie auf die (sozio-)politischen Verhältnisse im postkolonialen Afrika lesen.
Zu Beginn wird die bekannte Unrechtslage etabliert: Auf dem Hügel über dem Kaff Marseilles liegt die Township Railway, deren schwarze Bewohner regelmäßig von den weißen Polizisten aus dem Tal drangsaliert werden. Dagegen setzen sich die titelgebenden Five Fingers, fünf befreundete Teenager, eines Tages zur Wehr, die Situation läuft aus dem Ruder und der hitzköpfige Tau flieht. Als er 15 Jahre später zurückkehrt, muss er feststellen, dass sich, den geänderten Machtverhältnissen im Land zum Trotz, an den Mechanismen der Unterdrückung nichts geändert hat, dass lediglich die Unterdrücker andere sind. Der Bürgermeister und die Polizei sind korrupt, und ein brutaler Haufen unter einem halb blinden Anführer namens »The Ghost«, den man sich ruhig als eine Mischung aus Medizinmann und Warlord vorstellen darf, verbreitet Angst und Schrecken. Dieser Geist, der von den Bergen herabkam wie das Jüngste Gericht, wirkt als Katalysator; er dringt in das von der zerfallenen kolonialen Struktur hinterlassene Machtvakuum vor, etabliert seine Willkürherrschaft und konfrontiert solcherart die Bewohner des Ortes mit ihrer Feigheit, mithin mit ihrer Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen für das eigene Schicksal.
Mühelos gelingt es den beiden weißen Südafrikanern, Regisseur Michael Matthews und Drehbuchautor Sean Drummond, in »Five Fingers for Marseilles« traditionelle Westernmotive mit kolonialgeschichtlichen Themen zu verknüpfen. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass der Western gleichfalls immer wieder von Kolonialisierung handelt. Darüber hinaus ist da noch die Landschaft, die wie für den Western geschaffen ist und die von Kameramann Shaun Lee auf größtmöglichen Effekt hin fotografiert wird. Dergestalt, dass sie, wie es sich eben gehört, zu einem eigenen Handlungsträger wird. Gedreht wurde in der und um die Stadt Lady Grey, die in der südafrikanischen Provinz Ostkap in der Nähe der Grenze zu Lesotho und am Fuß der Witteberge liegt. Gesprochen werden die Landessprachen Xhosa und Sesotho sowie ein wenig Afrikaans und Englisch – eine Entscheidung der Filmemacher, die den Produktionsprozess sicher nicht erleichtert hat. Zehn Jahre hat es gedauert, bis »Five Fingers for Marseilles« schließlich seine Premiere feiern konnte. Schön, dass er endlich da ist.
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