Kritik zu Fairness – Zum Verständnis von Gerechtigkeit
Der Brite Alex Gabbay erläutert in seinem Dokumentarfilm Aspekte von Fairness und Ungleichheit, während er über den Globus verteilte Experten aufsucht
Den deutschen Bundestagswahlkampf hatte Alex Gabbay bei der Konzeption dieses Films vermutlich nicht im Sinn. Schließlich ist der Mangel an Gerechtigkeit ein eher kulturübergreifendes Phänomen. So geht auch Gabbays klassisch episodisch gebauter Dokumentarfilm die Fairness-Frage ganz international an und reist zu den üblichen Erkundungszwecken von Nordnorwegen bis nach Costa Rica und Zentralindien. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, weshalb so viele Menschen hinnehmen, dass so oft gegen die unsere Moral bestimmenden Vorstellungen von Gerechtigkeit verstoßen wird. Ungewöhnlich nur, dass diese Frage in einem nicht gerade spannungsfördernden dramaturgischen Kurzschluss dann auch umgehend beantwortet wird. Und zwar von norwegischen Wissenschaftlern, die das ökonomische Gerechtigkeitsempfinden von Studenten empirisch erforschen.
Diese Versuche ergeben als wichtigsten Punkt bei der Akzeptanz die subjektive Überzeugung der Probanden, dass die ungleiche Verteilung mit ihrem eigenen Handeln zu tun habe. »Menschen sind bereit, jede Ungerechtigkeit zu akzeptieren, wenn sie es als Ergebnis eines Wettbewerbs sehen«, bringt es der Forscher Alexander Kappelen auf den Punkt. Eine Haltung, die von kapitalistischen Institutionen nach Kräften gefördert werde, im konkurrenzorientierten Schulsystem oder im Sport, wo Millisekunden über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Wie der menschliche Gerechtigkeitssinn vor solchen Prägungen aussah, untersuchen Psychologinnen in Vancouver am Verhalten von Kleinkindern. Die Experimente zeigen, dass Babys großzügiges und faires Verhalten bei anderen schon mit neun Monaten positiv bewerten, einem Alter, bei dem von angeborenem Verhalten ausgegangen werden kann. Sie zeigen aber auch, dass schon die ganz Kleinen mit einem starken Bias für die eigene Peer-Gruppe und gegen andersartiges Verhalten ausgestattet sind.
Dass die soziale Realität der Welt dem Konzept von Fairness wenig entspricht, dürfte bekannt sein, wird von Gabbay aber noch einmal ausführlich in Episoden aus den USA und Indien illustriert. Interessanter der Fokus auf Initiativen und Menschen, die die anfänglich geäußerte These der akzeptierten Ungerechtigkeit praktisch widerlegen, indem sie für eine gerechtere Welt kämpfen, wie die London Fairness Commission oder die NGO The Children's Trust, die im Namen zukünftiger Generationen weltweit für eine klimafreundliche Politik klagt.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Thema Steuer und Steuerhinterziehung, das mit dem Whistleblower Antoine Deltour und dem walisischen Steueraktivisten Steve Lewis (»Fair Tax Town«) rundum sympathisch besetzt ist, wie der Rest des Films die Profiteure aber weitgehend auslässt. Vielleicht als Ersatz gibt der Film mit dem US-Moralpsychologen Jonathan Haidt auch einer eher rechten Position eine Stimme, die im großen Konzert aber keine überzeugende Figur machen kann (und wohl auch nicht soll). Insgesamt aber verläuft sich die Argumentation zusehends in wenig einleuchtenden neuen Schauplätzen und Fronten, wobei irritiert, dass die große und drängende Frage globaler Gerechtigkeit gar nicht auftaucht.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns