Kritik zu The End We Start From
In Mahalia Belos Romanadaption kämpft sich Jodie Comer als frischgebackene Mutter durch eine Klimakatastrophe – weniger als Actionheldin denn als reflektierende Beobachterin, die über das Wie-Weitermachen sinniert
Es könnte alles nur ein Geburtstraum sein, den eine junge Frau allein zu Hause in den letzten unsicheren Stunden ihrer Schwangerschaft durchlebt. Während sich die Badewanne langsam mit wohltuend warmem Wasser füllt, regnet es draußen, zunächst tröpfelnd, dann immer stärker, in Strömen, in Fluten. Wird ihre Wohnung nur in ihrer Wahrnehmung überschwemmt – oder ganz real? Träumt sie sich von der Badewanne in einen See? Gut könnten all diese Bilder auch nur Ausdruck einer profunden Destabilisierung sein, Eindrücke, die nur im Kopf einer Gebärenden stattfinden. In ihrem Spielfilmdebüt spielt Mahalia Belo mit den Unsicherheiten der Wahrnehmung, im Ungefähren zwischen subjektiver Empfindung und objektiver Katastrophe, zwischen individuellem Geburtstrauma und universellem Naturphänomen.
Irgendwie schafft es die namenlose junge Frau (Jodie Comer) allein ins Krankenhaus, bringt im Chaos der überfüllten Station ihr Baby zur Welt, doch als der junge Vater, der nur R genannt wird (Joel Fry), sie abholt, können sie nicht mehr in ihr Haus zurück, müssen mit den Massen aus dem Ballungsraum London fliehen, ins höhergelegene Umland. Sie haben Glück, sie können zu seiner Familie, doch auch von da müssen sie bald weiter, werden auseinandergerissen, die Mutter findet mit dem Neugeborenen Unterschlupf in einer Schutzzone, er wird abgewiesen.
Man kennt die Bilder aus zahllosen Apokalypse-Szenarien in Serien und Filmen, die zerstörten und geplünderten Wohnräume, die Flüchtlingsströme auf zugestauten Straßen, die militärische Überwachung in abgeriegelten Schutzzonen. Doch dieser Film ist anders. Basierend auf der Romanvorlage von Megan Hunter, ist er konsequent aus weiblicher Perspektive erzählt und damit eher kontemplativ als kämpferisch, eher defensiv als angriffslustig, fast poetisch in der Art, wie er existenzielle Action genreuntypisch runterfährt und stattdessen viel mit Träumen und Erinnerungen, mit langen Blicken in Landschaften und Rückblenden arbeitet.
Während sich die Mutter mit ihrem Baby durchs Land schlägt, begegnet sie Menschen, die mit der Krisensituation ganz unterschiedlich – hoffnungsvoll, resigniert oder verängstigt – umgehen, darunter auch Benedict Cumberbatch in einer Cameo-Rolle. Und immer wieder sieht sie, einer Fata Morgana gleich, ihren Mann – in der Menge, auf einer Fotowand mit Vermisstenanzeigen, allein im Meer –; während sie sich nach vorn durchschlägt, taucht sie immer wieder in Erinnerungen an die Anfänge ihrer Liebesgeschichte ab.
Jodie Comer, die als skrupellose Kampf-Amazone und Extrem-Attentäterin in der Serie »Killing Eve« bekannt wurde, darf hier ganz andere, verletzlichere Seiten zeigen, weniger Aktionismus, mehr verinnerlichte Gefühle, weniger Selbstsicherheit, mehr Zweifel. Ohne die Dimensionen der Klimakatastrophe offensiv zu thematisieren, impliziert der Film Fragen, die sich einer jungen Frau, die sich gerade als Mutter neu definiert, verschärft stellen: Geht es eher darum, die Welt, wie man sie kannte, wiederaufzubauen, oder darum, einen neuen Entwurf zu finden?
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