Kritik zu End of Season
Das Debüt des aserbaidschanischen Regisseurs Elmar Imanov zeigt eine zerfallende Familie in Baku
Wie von menschlicher Entfremdung erzählen? Der Regisseur Elmar Imanov gibt in seinem Langfilmdebüt »End of Season« eine Antwort, wie man sie aus vielen Filmen des europäischen Arthouse-Kinos kennt: Er präsentiert sein familiäres Protagonistentrio in formal strengen langen Einstellungen, lässt es, wenn überhaupt, nur wenige Worte wechseln und hält die Zuschauer:innen auf Distanz, indem jeglicher psychologischer Zugang unterminiert wird.
Man folgt dem auf den ersten Blick unspektakulären und oft schwer einschätzbaren Treiben mit der Brille eines Soziologen. Wir sind in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku: Vater Samir (Rasim Jafarov), ein ambitionsloser arbeitsloser Schauspieler, lebt selbstversunken vor sich hin, wenn er nicht gerade mit einem Kumpel auf Sauftour ist. Seine Frau Fidan (Zulfiyye Qurbanova) ist Ärztin und liebäugelt mit der Stelle, die ihr in Berlin angeboten wurden. Sohn Mahmud (Mir-Movsum Mirzazade) streitet in den ersten Einstellungen mit seiner Freundin und mietet sich in eine mehr nach Baustelle denn nach Wohnung aussehende Bruchbude ein.
Wir begleiten die drei über einen Tag hinweg. Selbst Spuren einer ehemals funktionierenden Familie sind kaum zu entdecken. »Du bist so groß geworden«, sagt Fidan zu ihrem Sohn, der dann demonstrativ lachend wie ein frecher Junge den Teller ableckt. Meist jedoch beherrschen Indifferenz oder fiese Frotzeleien das Geschehen. »Ich bin voll Scheiße«, grinst Samir, während er seiner Frau mit dem Degen vor der Nase herumfuchtelt, mit dem er wenige Augenblicke zuvor noch das verstopfte Klo frei gemacht hat. Es folgt ein Strandbesuch, der alles andere als herzlich oder entspannend ist und bei dem Fidan spurlos verschwindet.
Für seine Erzählung über Entfremdung und zwischenmenschliche Kälte wurde der an der Internationalen Filmschule Köln ausgebildete Regisseur beim Filmfestival in Rotterdam mit dem Preis der internationalen Filmkritik ausgezeichnet. Sein Film will, das legen Anfang und Ende als quasi metaphorische Klammer nahe, auch ein Brennglas sein für einen größeren gesellschaftlichen Rahmen: Während ein melancholisch dahinschlurfendes Cover von Nenas »99 Luftballons« zu hören ist, zeigt die Kamera Hochhausreihen in Totalen, aus deren verschiedenen Etagen die nächtlichen Fenster wie abgeschnittene kleine Inseln leuchten.
Wenn diese leuchtenden Fenster am Ende, passend zum Song, wie Luftballons in den Himmel aufsteigen, ist das ein starkes Finale für diesen Film, dessen Konsequenz man bewundern kann, der allerdings auch an seiner Kargheit zu ersticken droht. Man wünscht sich, wenn schon der emotionale Zugang fehlt, mehr formale Eigensinnigkeit und mehr solcher vielschichtigen, starken Bilder. Dass Imanov ein Gespür genau dafür hat, beweist er am Ende. Oder auch wenn Samir, nachdem Fidan verschwunden ist, beim Spülen den Wasserhahn in der Küche voll aufdreht, damit Mahmud sein Weinen nicht hört. Viel erzählen ohne Worte: Gern mehr davon.
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