Kritik zu El Fulgor
Reise in eine fremde Welt: Martín Farina verwischt in seiner Beobachtung von Gauchos und Karnevalstänzern in Argentinien bewusst die Grenzen zwischen Dokumentar-, Spiel- und Essayfilm
Der Schimmer, so lässt sich El Fulgor, der Titel des Films von Martín Farina, übersetzen. Man kann ihn nicht nur im Hinblick auf sein schwer zu fassendes Sujet verstehen, das die Rituale junger Gauchos im ländlichen Argentinien mit den Vorbereitungen der Karnevalsfeiern in der Stadt verbindet. Er könnte auch die Form meinen, die Farina für die Inszenierung gewählt hat, irgendwo zwischen Dokumentarfilm, Filmessay und Experimental. Es ist eine ungewöhnliche Reise in eine fremde Welt mit filmischen Mitteln, die sich überlagern, ineinander übergehen und dadurch schillernde, schwer zu deutende Effekte erzeugen.
Gauchos sind einfache Arbeiter in der Viehhaltung, die Cowboys Südamerikas, auch in ihrer mythischen Überhöhung als Figuren der Folklore durchaus vergleichbar. Ihr realer Alltag ist in einigen Landstrichen auch heute noch geprägt von harter Arbeit und dem Lauf der Jahreszeiten, der Zucht und dem Schlachten von Tieren, vor allem Rindern und Pferden. Es ist eine männergeprägte Welt, geredet wird nicht viel, das Auftreten bei aller Mühsal stolz und frei, ihre Kleidung geprägt von ihrer Herkunft, in der Einflüsse spanischer Einwanderer und indigene Kultur sich vermischt haben.
Eine große Freiheit hat sich auch der 40-jährige Martín Farina als Filmemacher erhalten. Neben Konzept und Regie ist er auch für Kamera, Schnitt, Musik und Ton zuständig, »El Fulgor« ist seine ganz subjektive Auseinandersetzung mit Maskulinität und Folklore, Gewalt und Begehren. Es kommt nicht von ungefähr, dass Farina und der Queerfilmer Marco Berger (»Plan B«) ein ähnliches Interesse an männlich geprägten Kulturen und den nicht-heterosexuellen Konnotationen haben. Mit Berger arbeitete Farina unter anderem an »Taekwondo« (2016) über das Sommercamp einer Gruppe von Freunden zusammen; gemeinsam begannen sie auch die Dreharbeiten zum Karneval in Gualeguaychú, einer Stadt an der Grenze zu Uruguay, einigten sich dann aber darauf, aus dem Projekt zwei Filme zu machen, Bergers »The Carnival« und eben Farinas »El Fulgor«, den Berger mitproduziert hat.
Farina beobachtet den Alltag der Gauchos mit einem Blick für scheinbar nebensächliche Details, verbunden mit Aufnahmen der spröden Wildnis, in der sie leben, dazwischen Traumsequenzen und eine angedeutete Liebesgeschichte zwischen einem Tiertreiber und einem der Tänzer, die sich auf den Karnevalsumzug vorbereiten, bei dem sie die Blicke auf sich genießen, die der anderen und der Kamera. Diese erkundet hier wie da die Körper der Männer, ihr Agieren, ob bewusst oder nicht, und die mit Bedeutung aufgeladene Kleidung, während ihre Emotionen oft unergründlich bleiben.
Farina bezeichnet seine eigenen Werke, bislang acht Lang- und zwei Kurzfilme, als künstlerische Dokumentarfilme. Genrekonventionen sind für ihn Spielmasse, er bewegt sich bewusst zwischen Dokumentarischem und Fiktivem, bis hin zur Ununterscheidbarkeit. Nach der Weltpremiere auf dem Filmfest Mannheim-Heidelberg im November kommt mit »El Fulgor« nun erstmals einer seiner Filme regulär in deutsche Kinos. Allein das ist schon ein kleines, schimmerndes Wunder.
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