Kritik zu Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten

OmeU © Drop-Out Cinema

2022
Original-Titel: 
Un peuple
Filmstart in Deutschland: 
12.01.2023
L: 
100 Min
FSK: 
12

Wie aus Begegnungen Porträts werden: Über mehrere Monate begleitet der ­Dokumentarfilmer Emmanuel Gras eine Gruppe von Gelbwesten in Chartres

Bewertung: 3
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Sie blockieren den Verkehr ja nicht. Im Gegenteil, manchmal sabotieren sie die Mautstellen in der Umgegend, und dann ist die Nutzung der Autobahn für einen Morgen gebührenfrei. An den anderen Tagen harren sie in der Mitte des Kreisverkehrs aus, als friedliches Mahnmal der Unsichtbaren.

Vor zwei Wintern waren die rond-points, die die Gelbwesten besetzten, so etwas wie das Zentrum Frankreichs. Hier fand der Protest gegen die im Oktober 2018 erlassene »Ökosteuer« auf Kraftstoffe seinen prägnantesten Ausdruck. Emmanuel Macron, der sich eigentlich auf Symbolpolitik versteht, verstand dieses Signal nicht. Benoit, einer der vier Aktivisten aus Chartres, die der Film in den Blick nimmt, schämt sich ein wenig, dass es zunächst nur um den Benzinpreis geht und nicht um die Armut insgesamt. Er kennt sie gut, ebenso wie seine Kameradinnen und Kameraden, die im Fokus von Emmanuel Gras' Kamera stehen. Nathalie, die ihr Erwachsenenleben lang kämpfen musste, hat jeden Monat Angst vor dem Anruf der Bank, wenn das Konto wieder einmal überzogen ist. Auch Agnès, die großes Organisationstalent besitzt, kommt nie über die Runden. Allan, der Pazifist ist und bei allem auch den Klimawandel denkt, hält ihre Aktionen für die sozialen Medien fest.

Sie offenbaren sich der Kamera in all ihrer Wut und Verzweiflung. Gras' Film hängt an ihren Worten, braucht keinen Kommentar und lässt wenig Raum für Gegenstimmen. Ein Dialog ist nur untereinander möglich (mit Ausnahme der Auseinandersetzung mit einem höflichen Supermarktleiter), bei einer Wahlveranstaltung von Macrons Partei finden die Gelbwesten kein Gehör. Die leise Beobachtungsgeduld von »Eine Revolution« ist entschieden subjektiv, das Betrachten allein genügt dem Regisseur nicht, er schließt sich an. Der Originaltitel »Un peuple« (immerhin nicht »das Volk«, sondern »ein Volk«) wirft die Frage auf, in wessen Namen die vier sprechen. Gras beantwortet sie, in dem er einen Blick in die Kulissen der Bewegung wirft, Entscheidungsprozesse und praktische Probleme (Wie organisiert man eine angemeldete Demonstration? Wo findet man Sanitäter für den Notfall?) schildert. Bei den Gelbwesten fühlen sich die vier einer zweiten Familie zugehörig.

Bald führt sie ihr Weg hoffnungsvoll zum berühmtesten Kreisverkehr Frankreichs, der Place de l'Étoile. Die Großdemo in Paris verwandelt sich in eine Straßenschlacht mit der Polizei. Die erste Reporterin, die die Gelbwesten interviewen will, arbeitet für »C News«, den Nachrichtenkanal des Industriemagnaten Bolloré, der die Bewegung dämonisiert. Wenn der Film seine Protagonisten für einen Moment aus den Augen verliert, büßt er auch an Gewissheiten ein. Der Vandalismus, »Frexit«-Plakate und andere Symptome zeigen, dass die Bewegung ihre Einigkeit verliert. Nun kämpfen die vier gegen die Klischeebilder, die sich die Öffentlichkeit macht. Im Frühjahr sind sie erschöpft. Am Ende kehrt die Kamera zu ihrem Kreisverkehr zurück, dessen Mitte jetzt verwaist ist. Für einen Moment strahlt warmes Licht über die Rasenfläche, und man mag nicht glauben, dass alles vergeblich war. Dann schiebt sich eine Wolke vor die Sonne.

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