Kritik zu Die Wirklichkeit kommt

© Real Fiction

2013
Original-Titel: 
Die Wirklichkeit kommt
Filmstart in Deutschland: 
15.05.2014
L: 
82 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Niels Bolbrinker gleicht in seinem Dokumentarfilm moderne ­Überwachsungstechnologien mit den paranoiden Wahnvorstellungen einzelner Bürger ab

Bewertung: 4
Leserbewertung
2.5
2.5 (Stimmen: 2)

Science-Fiction-Filme, so zeigt sich immer wieder, nehmen mit ihren utopischen Ideen oftmals reale technische Entwicklungen vorweg, sei es das Bildtelefon oder den Ganzkörperscanner. In seinem Dokumentarfilm Die Wirklichkeit kommt verschiebt Niels Bolbrinker die Perspektive ein wenig. Er richtet seinen Blick auf Menschen, die sich auf futuristische Weise von einem gewaltigen Überwachungsapparat verfolgt fühlen – und fragt sich, ob diese Vorstellungen Realität werden könnten. Unter anderem trifft er einen russischen Immigranten sowie einen Familienvater aus Berlin, die beide überzeugt sind, dass der Staat ihnen mittels elektromagnetischer Strahlen gezielt das Leben zur Hölle macht. Oder eine Frau, die ihr Leben ausschließlich auf Reisen verbringt, weil sie glaubt, dass man mittels heimlich implantierter Mikrochips jeden ihrer Schritte verfolgt. Und bereits in den 1970er Jahren warnte der legendäre »Sendermann« auf den Straßen Berlins vor der Totalüberwachung durch die CIA. All diese Leute sind kauzig, aber Bolbrinker gibt sie nicht der Lächerlichkeit preis; sie leiden offensichtlich an Psychosen, aber der Film stellt sie nicht als Kranke dar. Denn je tiefer Bolbrinker parallel zu diesen Porträts in die Welt der Überwachungsmethoden vordringt, desto weniger verrückt erscheint die zuvor geschilderte Paranoia.

Als Zuschauer fühlt man sich in eine Art Paralleluniversum entführt, wo Drohnen in Form von täuschend echt aussehenden  Kolibris Wanzen platzieren und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts eine Kamerasoftware entwickeln, die »verdächtige Personen« anhand von Körperbewegungen erkennt – was natürlich eine fortwährende Beobachtung und Auswertung sämtlicher Passanten voraussetzt. Die aktuellen Onlineausspähungen der NSA wirken gegen solche Zukunftsaussichten wie Kinderkram. Daneben zeigt der Film Aufnahmen historischer Experimente, in denen Wissenschaftler die Gehirnströme von Menschen manipulieren. Da verliert die oben geschilderte Paranoia bald etwas von ihrer Wahnhaftigkeit, wirkt beinahe visionär. Ein Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie an der Uni Heidelberg spricht solchen Patienten denn auch bei aller Pathologie eine ganz eigene Sensibilität zu. Er nennt sie »Seismographen« für bestimmte, nicht immer positive Entwicklungen.

Bolbrinker schildert das alles sehr nüchtern, in Form einer persönlichen Spurensuche, die ihn vom Verband der durchaus auch skurrilen »Mind Control Victims« zu jenen Menschen führt, deren Arbeit tatsächlich auf eine Gedankenkontrolle hinausläuft. Klug macht sein Film die Schnittmengen von Wahn und Wissenschaft sichtbar: Das Ziel der Überwachungsspezialisten besteht letztlich darin, die Science-Fiction in den Köpfen der Paranoiker irgendwann Realität werden zu lassen. Dass die Bedrohung schon viel früher losgeht, bringt eine Sprecherin vom Chaos Computer Club auf den Punkt: »Wer sich überwacht fühlt, lebt nicht frei. Und wenn Freiheitsrechte nicht gelebt werden, sterben sie ab.

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