Kritik zu Die Schule der Frauen

Quelle: Filmfest München

In ihrem Regiedebüt trägt Marie-Lou Sellem die Erfahrungen von Schauspiel- und Regiekolleginnen zu einer klugen, die Debatte um Gleichberechtigung und ­MeToo bereichernden Montage zusammen

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Auch in den 1970ern war für viele junge Frauen die Schauspielerei Traum­beruf – ließe sich doch, so die Idee, als Darstellerin der eigene Auftritt mit dem Ausdruck der Persönlichkeit verschmelzen. Die Wirklichkeit zwischen Bühne / Filmset und Garderobe sah weniger selbstbestimmt aus. Auch, weil Intendanzen und Regie­posten durchweg mit Männern besetzt waren, die im Namen der Kunst ihre Interessen und ästhetischen Leidenschaften durchsetzten. Das stand dem eigenen Ausdruck im Weg. »Die Freiheit wurde zwar in den Stücken verhandelt«, sagt Jacqueline Kornmüller, doch die Realität an den Theatern stand in krassem Gegensatz dazu. Zusätzlich kamen Frauen ab fünfzig auf den Besetzungsplänen kaum noch vor.

So kam es, dass viele Darstellerinnen, auch Kornmüller, ins Regiefach wechselten. Das tat nun auch die 1966 geborene Schauspielerin Marie-Lou Sellem, die seit ihrer gefeierten Hauptrolle in Tom Tykwers »Winterschläfer« 1995 vor allem für das Fernsehen arbeitet. Sie ist Autorin und Regisseurin dieses Dokumentarfilms, der fünf Kommilitoninnen ihres Jahrgangs am Orte der ehemaligen Ausbildung zum Erfahrungsaustausch zusammenbringt: virtuell im Film, konkret in den alten Gemäuern der Folkwang-Uni in Essen-Werden, wo die Erinnerungen an Körperübungen und Partys gleich wieder da sind. Später kommen junge Elevinnen der Schule mit den Veteranen ins Gespräch.

Unter denen ist Cornelia Felden, der einst bei einem Vorsprechen ein (namentlich nicht genannter) Burgtheater-Intendant sagte, er würde sie gleich nach Wien mitnehmen. Als sie nicht gleich begeistert ansprang, kam die Retourkutsche prompt: »Vielleicht wären Sie ja auch in der Daily Soap besser aufgehoben«. Stattdessen arbeitet Felden heute erfolgreich als Fachkraft für sprachliche Bildung in Marburger Kitas. Karoline Eichhorn berichtet, wie sie wegen ihres »niedlichen Gesichts« als Naive besetzt wurde und den Vorwurf zu großer Intellektualität bekam. Und Kerstin Weiss wurde zwischen Casting und Dreharbeiten schwanger, was zu viel der erwünschten Aufmerksamkeit vom Regisseur auf das Kind zog. So wurde sie die erste Frau, die in Essen Regie studierte.

Sellem inszeniert den Film als Mosaik der Biografien, so dass die einzelnen Frauen und ihre Erfahrungen fließend ineinander übergehen. Dabei kommen selbstverständlich auch Gewalt und sexuelle Übergriffe zur Sprache. Doch Sellem gelingt das Kunststück, in einem eher strukturellen Ansatz Wut und Zorn zu vermitteln, ohne auf sensationalistische Anklagen zurückzugreifen. So ist ihr Film eine wichtige, ja notwendige Ergänzung zur MeToo-Debatte. Und ein starkes Plädoyer für die Bedeutung älterer weiblicher Stimmen, nicht nur im Schauspiel: »Bislang bestand gesellschaftlicher Dank überwiegend darin, den Blick in dem Moment von ihnen zu nehmen, in dem sie beginnen, reichhaltig aus dem Zentrum ihrer Erfahrungen heraus zu schöpfen. Es ist Zeit für einen Kultur­wandel!«

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