Kritik zu Die Perlmutterfarbe
Die letzten Tage der Weimarer Republik in einer ganz normalen bayerischen Schule: Marcus H. Rosenmüller hat den Jugendbuchklassiker von Anna Maria Jokl verfilmt
»Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.« Wir schreiben das Jahr 1931, die 7a muss Goethes »Zauberlehrling« rezitieren, schwitzend stehen die Schüler vorne am Pult und tragen mit Verve das Gedicht vor. Regisseur Rosenmüller lässt mit zunehmender Dramatisierung der Geschichte seine jungen Helden Goethe deklamieren und kommentiert damit die Zuspitzung der Ereignisse. Schüler Alexander verstrickt sich immer mehr in Widersprüche und ist schließlich schuld an der Hetze gegen die Parallelklasse 7b: »Walle! Walle manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fließe.« Für ihn entwickeln sich die Ereignisse zum Alptraum.
Hatte er doch durch Zufall eine ganz besondere Farbe – die Perlmutterfarbe – in seinem Schulranzen entdeckt, eigentlich gehört sie seinem Freund, der damit den Malwettbewerb der Schule gewinnen will. Gleichzeitig zerstört er mit dieser Farbe ein Buch, das er sich nicht ganz rechtmäßig ausgeliehen hatte. Und schon wird er erpressbar und immer weiter hineingezogen in Intrigen und Widersprüche. Der Neue in der 7a nutzt sein Wissen, um seine Macht auszubauen und gegen die Nachbarklasse einzusetzen. Die Weimarer Republik in ihrer letzten Phase, wir befinden uns in einer ganz normalen Schule eines kleinen Ortes, irgendwo in Bayern während der Wintermonate.
Die Autorin der Buchvorlage Anna Maria Jokl floh 1933 vor dem Nationalsozialismus und schrieb 1938 den Jugendroman, um die ganz normalen Ausgrenzungsmechanismen zu schildern, die schließlich in einen totalitären Staat münden können. So manches in »Die Perlmutterfarbe« erinnert an »Die Welle«: »Ach, ich merk es! Wehe! Wehe! Hab ich doch das Wort vergessen!« Dabei geht es weniger um aktives Lügen, als vielmehr darum, nicht die Wahrheit zu sagen, weil es bequemer scheint. Dass Alexander dadurch erpressbar wird und sich dem Denunzianten unterordnen muss, realisiert er nicht rechtzeitig. Irgendwann ist es für die schlichte Wahrheit dann zu spät, und der Strudel der Ereignisse reißt ihn mit sich fort. »O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen?«
Marcus Rosenmüller gelingt es erneut, einen ganz eigenen, authentischen Kosmos zu kreieren, der von seiner charakteristischen Handschrift geprägt ist. Nicht nur die Höllenqualen, die Alexander physisch wie psychisch durchlebt, sind uns schon aus »Wer Früher stirbt, ist länger tot« bekannt, sondern auch die Konzentration auf die bayerische Kultur und Sprache, die von einem erfrischenden Selbstbewusstsein zeugt. Unverhohlen sind hier Anleihen beim »Fliegenden Klassenzimmer« gemacht, es gibt aber auch Referenzen etwa an »Fargo«, wenn in einer endlosen Schneelandschaft, aus großer Höhe gefilmt, nur ein einziger Mensch dunkle Spuren im winterlichen Weiß hinterlässt, bevor er zusammenbricht. »Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.«
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