Kritik zu Die Kinder aus Korntal

© Salzgeber

2023
Original-Titel: 
Die Kinder aus Korntal
Filmstart in Deutschland: 
26.09.2024
L: 
90 Min
FSK: 
12

Julia Charakter geht in ihrem Dokumentarfilm der von Rückschlägen, Verleumdungen und beharrlichem Schweigen erschwerten Aufarbeitung eines jahrelangen Missbrauchs in einem Kinderheim nach 

Bewertung: 4
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»Wir sind ja hier mit der Bibel groß ­geprügelt worden«, sagt ein ehemaliger Heimbewohner aus Korntal, der leider kurz vor Abschluss der Dreharbeiten verstarb und so nicht mehr profitieren konnte von den Entschädigungen, die man schließlich bereit war zu zahlen. Denn bislang hatte es immer geheißen, dass man derartiges Unrecht mit Geld nicht wieder gutmachen könne. Doch das ist nicht das Verdienst dieses Films über ein Kinderheim in der Nähe von Stuttgart, das von Säuglingen bis zu jungen Erwachsenen Sozialwaisen und Kinder ohne Eltern aufnahm und im Geiste einer evangelischen Bruderschaft erzog. Erschütternd sind die Ausflüchte und Leugnungen derjenigen, die heute mit der Aufarbeitung befasst sind.

Vor allem in den siebziger Jahren kam es wiederholt zu Missbrauchsfällen. Kleine Jungen mussten auf nicht nur heiminternen Baustellen im Ort Schwerstarbeit verrichten, wurden geschlagen, mit Bügeln, Schuhen oder Reitgerten, wurden in dunkle Keller gesperrt und wiederholt von Erziehern und Hausmeistern sexuell missbraucht. Die Mädchen wurden gequält und ebenfalls sexuell missbraucht, während die Erzieherinnen zuschauten und drohten, man werde noch ganz andere Saiten aufziehen, sollte ­etwas nach außen dringen. Und so schwiegen alle, die Kinder, die Erzieher und die Paten aus der Gemeinde, von denen einige Kinder in den Ferien oder an den ­Wochenenden aufgenommen wurden. Denn auch dort kam es wiederholt zu Missbrauch und Vergewaltigungen.

Erst Jahre später, als alles längst verjährt ist, meldet sich Detlev Zander zu Wort, weil er es nicht mehr aushält und kurz davor ist, sich das Leben zu nehmen. Er berichtet von der Gewalt, von der Angst und der Not vieler Kinder, auch seiner eigenen, zehn Jahre andauernden ständigen Vergewaltigung. Und er spült etwas nach oben, was viele für unmöglich hielten. In der Gemeinde wird er geächtet, erhält Drohbriefe und man schreibt ihm, »was willst du eigentlich, dein Arsch tut heute doch nicht mehr weh«. Als sich dann weitere Opfer melden, 145 bislang, kommt endlich ein Prozess in Gang, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Die Verbrechen sind erschreckend. Doch wenn man den Geistlichen hört, der heute die Bruderschaft vertritt, oder deren weltlichen Leiter, lernt man zu verstehen, warum viele lieber schweigen, als sich zu offenbaren. Von minderbemittelten Menschen ist hier die Rede, die nicht mal einen Termin einhalten können, so als wäre ein Heranwachsen unter Dauerprügelei und sexueller Gewalt völlig unbedeutend. Man will die Fälle untersuchen, hat ja aber leider keine weiteren Zeugen, und Geld zu bezahlen steht einer frei finanzierten Bruderschaft ohnehin nicht an. Hatte man bislang vor allem den Zölibat der katholischen Kirche für den sexuellen Missbrauch verantwortlich gemacht, so zeigt sich hier, in einer evangelischen Einrichtung, dass es damit nur wenig zu tun hat. Hier geht es um ungebrochene, unkontrollierte Macht, die sich an Menschen schadlos hält, die sich nicht wehren können. Und wenn sie es dann doch versuchen, werden sie verunglimpft und als Lügner abgestempelt. Ein Film, den jeder ­sehen sollte.

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